Tabula rasa, FC Bayern!

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Der FC Bayern München hat gestern zum 33. Mal die deutsche Meisterschaft gewonnen, doch so richtig wollte keine Feierstimmung bei allen Beteiligten aufkommen. Das lag zum einen daran, dass in dieser Saison zu keinem Zeitpunkt die nötige Überzeugung vorherrschte das viel zitierte „Mia san mia“ auf den Platz zu bringen und zum anderen, weil kurz nach Spielende die Trennung von CEO Oliver Kahn und Hasan Salihamidžić publik wurde. Das es ein „Weiter so“ nicht geben kann, war nach dieser Spielzeit und der langfristigen Entwicklung des Vereins klar und doch passt die Kommunikation und das Drumherum in ein desaströses Gesamtbild, dass der Club höchst selbst zu verantworten hat. Wie der Verein Stück für Stück seine Identität verlor, welche personellen Weichen jetzt gestellt werden müssen und warum der Verein massiv an Ansehen in Deutschland verloren hat, erfahrt ihr in folgendem Text.

Eine emotional wertlose Meisterschaft

Logisch, die erste Reaktion der Spieler im Affekt war ausgelassen und positiv: Nachdem klar wurde, dass die Bayern ihre Hausaufgaben in Köln (1:2) machten und der BVB zu Hause gegen Mainz patzte (2:2), liefen die Spieler vor die Fankurve und feierten ausgelassen. Die Fans stimmten ein und lagen sich in den Armen. Hätten wir an den zurückliegenden 34 Spieltagen einen dominanten FC Bayern gesehen, hätten wir hier Bilder gesehen, die wie das normalste der Welt erscheinen. Doch so war es nicht. Nicht zuletzt deshalb, weil die Anhänger des deutschen Rekordmeisters schon länger ihren Unmut zum Ausdruck brachten und das Symbolbild der feiernden Akteure Arm in Arm mit den Fans ein kompletter Trugschluss war, der über die Diskrepanzen im Verein und seinem Umfeld massiv hinwegtäuschte. Es scheint längst nicht mehr alles so zu sein, wie es mal war. Diese 33. Meisterschaft und gleichzeitig die 11. in Folge, ist emotional für die Spieler und die Verantwortlichen, von denen es manche schon vor dem letzten Spieltag gar nicht mehr waren, eine wertlose. So wird sie nicht nur für die Medienlandschaft als eine Meisterschaft der Kuriositäten und Katastrophen in Erinnerung bleiben, sondern auch für die Spieler als ein Trostpreis einer ansonsten insgesamt, für Bayernverhältnisse, enttäuschenden Saison. Das Versagen des BVB wird sportlich stets im Vordergrund stehen und als Geschenk an „zahnlose“ Bayern gelten. Nicht umsonst sprach beispielsweise Thomas Müller nach dem Spiel von einem Titeltriumph, der sich für ihn „unterschwellig“ ein bisschen so anfühlte, als „hätte man ihn nicht verdient„. Auch Trainer Thomas Tuchel blies ins gleiche Horn, als er auf der Pressekonferenz nach dem Spiel zu Protokoll gab, er hätte sich für den Misserfolg „deutlich eher verantwortlich gefühlt„, als jetzt für den Erfolg.

Quo vadis, FC Bayern?

Das es sich bei allem Drumherum in dieser Saison für die Fans, die Spieler, den Trainer und den Rest so anfühlt, als hätte man aus einem Misserfolg mehr Erschaffen können, wäre beim FC Bayern in normalen Zeiten der reinste Frevel gewesen. Doch in diesen Zeiten ist diese Formulierung weder aus der Luft gegriffen, noch weit hergeholt. Auch historisch gesehen brauchte man im Verein diese Niederlagen (Finale dahoam) oder titellose Saisons (2007/2008) immer wieder, um wie der Phönix aus der Asche empor zu steigen und der nationalen wie internationalen Konkurrenz anschließend das Fürchten zu lehren. Doch dieses Mal fühlt sich alles so viel anders an. Der FC Bayern sorgte in den letzten Wochen und Monaten für eine Zerstückelung der eigenen Identität und schaffte es immer wieder, durch desaströse Kommunikation sowie immense strategische Fehler das eigene Leitbild des deutschen Vorzeigevereins massiv in den Dreck zu ziehen. Schon länger ist klar: Diesem Club mit seinen verantwortlichen Entscheidungsträgern ist mehr als nur die eigene Identität abhanden gekommen. Das man handeln musste, ist klar und verständlich und doch durch die Art und Weise des Vorgehens wieder einmal symptomatisch. Klar ist seit gestern für die Öffentlichkeit, vereinsintern schon seit Donnerstag: CEO Kahn und Sportvorstand Salihamidžić müssen gehen, doch wie stellt sich der FC Bayern für die Zukunft auf? Gibt es Pläne, Visionen oder eine geeignete Strategie und was müssen die jeweiligen Nachfolger der starken Männer im Club anders machen?

Führungspersönlichkeit beim FC Bayern – Eine Mammutaufgabe

Eine Aufgabe, die Vereinsgranden wie Uli Hoeneß oder Karl-Heinz Rummenigge in der Vergangenheit bis zur Perfektion ausübten, war gleichzeitig eine, an der deren designierte Nachfolger Oliver Kahn und Hasan Salihamidžić krachend scheiterten. Das dies geschehen würde, war bei deren Installierung nicht unbedingt vorauszusehen und in den letzten Monaten, vielleicht sogar Jahren, absehbar. Vielleicht hätte man früher handeln sollen, vielleicht sogar müssen, doch wie so oft im Leben bewegen wir uns hier im Konjunktiv. Fakt ist, sowohl der CEO als auch der Sportvorstand sind nun Geschichte und es beginnt die Suche nach Nachfolgern und das gleich auf mehreren Ebenen. Der FC Bayern wird in seiner Gesamtheit dieses Mal sicher noch genauer, noch akribischer, noch penibler darauf achten, wen man für eine jeweilige Führungsposition auswählt. Zu Teilen ist das ja sogar schon gesehen. Mit dem bisherigen Finanzvorstand und stellvertretenden Vorstandsvorsitzenden der FC Bayern München AG, Jan-Christian Dreesen, wurde bereits ein Nachfolger des geschassten Oliver Kahn installiert, der im Verein bestens vernetzt ist und ein vertrauensvolles Verhältnis zum Mann im Hintergund und Strippenzieher Uli Hoeneß pflegen soll. Seine Wahl ist eine logische, da er intern als Kritiker des bisherigen Bosses Kahn und dessen Praktiken in puncto Menschenführung, Strategie und Personalmanagement galt und den „fannahen“ Weg des FC Bayern wieder in den Vordergrund stellen will. Er wollte den Verein eben wegen dem bisherigen Machenschaften des CEOs verlassen und ist jetzt ein Populist, der leicht überspitzt gesagt, zur richtigen Zeit die bereits angesprochene Unterstützung von Vereinsgranden wie Hoeneß, Hainer und Rummenigge genießt. Dass der Verein auf genannte Personen hört, die sich im Verein über Jahrzehnte verdient gemacht haben und Letzteren nach seinem Ausscheiden vor zwei Jahren zurück in den Vorstand berufen möchte, ist dabei nur eine logische Konsequenz.

Zurück in die Zukunft

Ob nun eine weitere deutsche Meisterschaft im Gepäck oder nicht, in München wäre ohnehin alles auf den Prüfstand gestellt worden. Die bereits getroffenen Personalentscheidungen und die, die noch kommen (Stichwort Kaderumbruch) waren unausweichlich und werden auch bei der Auswahl eines geeigneten Sportvorstandes ihre konsequente Fortführung finden. Egal ob jetzt erneut mit dem Modell verfahren wird, einen hauptverantwortlichen Sportvorstand zu installieren, der sich bestenfalls um alle sportlichen Belange kümmern soll, was mit Hasan Salihamidžić ja nicht sonderlich erfolgreich verlief, oder ob man möglicherweise auf ein Modell mit einem weiteren Sportdirektor (vielleicht ja Arjen Robben) setzt, bleibt offen. Kandidaten gibt es viele, nicht zuletzt der Kicker, der Max Eberl (erst seit Januar 2023 bei RB Leipzig) oder Frankfurts Markus Krösche ins Spiel brachte, nannte bereits einige Anwärter auf einen möglichen Posten beim Rekordmeister. Auch die Namen von jungen Vereinslegenden wie Philipp Lahm und Bastian Schweinsteiger geisterten bereits durch die Gazetten. Der Verein wird eine Lösung finden, mit der man unabhängig davon wohl auch weiterhin auf Trainer Thomas Tuchel setzen kann, der Fragen zum weiteren Vorgehen und seiner eigenen Gedankenwelt auf der Pressekonferenz nach dem Spiel äußerst kryptisch beantwortete. Der 49-Jährige Schwabe ist auch weiterhin an Bord und wird aktiv daran mitwirken, den Neuaufbau zu gestalten. In München wird also wie angekündigt in den kommenden Wochen alles auf den Prüfstand gestellt und jeder noch so kleine Stein umgedreht, wenn es frei nach dem Motto geht: Tabula rasa, FC Bayern!

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