Die Fehlstarter Bayern – Ein Kommentar

Nach den ersten drei Spielen schien schon wieder alles klar: Die Bundesliga wird auch in Saison Nummer 60 einen klaren Meister hervorbringen, und das ist und bleibt der FC Bayern München. Der Hype um die für viel Geld runderneuerte Mannschaft war schnell riesengroß. Ein Team das nun im zweiten Jahr seines Schaffens endlich mehr und mehr an die Vorstellungen von Trainer Julian Nagelsmann angepasst wurde. Für viele und auch für mich der beste Coach der kommenden Generation und Hoffnungsträger des deutschen Fußballs. Erwartungsgemäß lief es auch sportlich schnell eindrucksvoll, die Ergebnisse sprachen früh Bände. Ein 3:5 Sieg im Supercup bei RB Leipzig, ein 1:6 Auswärtssieg zum Ligaauftakt bei Europa League Sieger Eintracht Frankfurt oder ein 0:7 Schützenfest auswärts beim VfL Bochum unterstrichen die überragende Frühform des deutschen Rekordmeisters deutlich. Kurz zusammengefasst der beste Saisonstart der Geschichte. Alles war angerichtet für eine Saison der Superlative und die Beziehung zwischen Nagelsmann und Mannschaft schien nach dem Abgang von Unruhestifter Lewandowski in eine perfekte Symbiose überzugehen. Doch es kam wie so oft anders. Das erste Unentschieden der neuen Spielzeit gegen Borussia Mönchengladbach wurde an einer überragenden Leistung von Torhüter Yann Sommer festgemacht und als Ausrutscher gewertet. Auch das folgende Spiel gegen ein stark aufspielendes Union Berlin wurde zwar nicht gewonnen, doch hielt sich die Kritik auch hier in Grenzen. Die öffentliche Wahrnehmung galt eher der bewundernswerten Metamorphose der Köpenicker zu einem Spitzenteam um deren Trainer Urs Fischer. Kritik von der sportlichen Führung oder ein intensives Hinterfragen der eigenen Person stand zu diesem Zeitpunkt wohl nicht auf der Agenda. Ein klarer, fast schon amateurhafter Fehler, vor allem wenn man die Größe dieses Vereins sowie die schnelllebige Dynamik der einzelnen Prozesse im Profifußball berücksichtigt. Diese und weitere Versäumnisse wie eine schwer erkennbare Spielphilosophie oder verherrlichendes Gerede der Offiziellen sind allerdings Punkte, die später noch ausführlicher zur Sprache kommen sollen. Auch in den kommenden Wochen wurde es nicht besser, denn nach dem dritten Unentschieden hintereinander gegen Kellerkind Stuttgart und der folgenden 0:1 Pleite beim Krisenclub aus Augsburg schrillten auch in München die Alarmglocken. Bereits gegen den VfB hatte man viel Glück mit Schiedsrichterentscheidungen, wobei auch abseits dessen immer wieder spielerische Defizite zu erkennen waren. Mit satten 19 abgegebenen Torschüssen gegen den FC Augsburg und einem Ertrag von null Toren dämmerte es so langsam vielen: Es fehlt ein Killer im Sturmzentrum, eine echte Neun. Einer wie Robert Lewandowski es war. Vereinslegende Thomas Müller gab das erst vor kurzem von sich aus ganz öffentlich zu.

Mangelnde Durchschlagskraft im Zentrum

Nagelsmann selbst war es, der den Abgang von Lewandowski in Richtung Barcelona forcierte. Es sollte alles besser, variabler und unausrechenbarer werden bei den Bayern und der Trainer bekam seinen Willen auch: Ein Unruhestifter, mit dem er in der vorherigen Saison bereits des öfteren aneinandergeraten war wich und flexible Offensivspieler wie Mané kamen. Auch Akteure wie Gnabry, Sané oder Coman sollten in die Verantwortung rücken und mehr Zug zum Tor entwickeln. Sah es nach den ersten Spielen noch so aus, dass dieser Schachzug aufging, offenbarte sich spätestens gegen den FC Augsburg am Samstag, dass das alles nicht immer unbedingt sofort funktioniert wie gewünscht. Sicher, man muss in diesem Kontext ebenso festhalten, dass Neuzugänge wie Mané oder auch gestandene Spieler wie Gnabry ihre Form suchen und zu Saisonbeginn noch weit davon entfernt sind eingespielt zu sein und doch lassen sich bereits gewisse Rückschlüsse ziehen. Hätte der Verein vor der Saison nicht mit Haaland verhandelt und stattdessen aktiv darauf hingearbeitet, dass sich Lewandowskis Verhältnis zu Nagelsmann wieder verbessert, wäre die sportliche Neuausrichtung mit dem entstandenen Vakuum in der Sturmspitze gar nicht nötig gewesen. Man hätte die aktuellen Probleme schlichtweg überhaupt nicht. Eher beschleicht einen das Gefühl, das Mannschaft und Trainer nicht wirklich an einem Strang ziehen, gar eine gewisse Unklarheit über taktische Vorgaben und deren Umsetzung besteht. Die Verantwortlichen wollten das alles aber so und jetzt haben sie den Salat. Die Theorie von Didi Hamann, dass der Pole bereits geahnt hatte, was passieren würde, glaube ich persönlich nicht. Für so allwissend und visionär halte ich Lewandowski bei aller sportlichen Klasse nicht.

Fehlende Kritikfähigkeit und Augenwischerei auf allen Seiten

Überhaupt fehlt mir von vielen Seiten beim Rekordmeister die Kritikfähigkeit und auch die Größe, bei sportlichem Misserfolg, der in diesem Verein ohne Zweifel recht schnell als solcher gewertet wird, Verantwortung zu übernehmen und auch öffentlichkeitswirksam den Finger in die Wunde zu legen. Ein Job, der in früheren Jahren zuverlässig von Uli Hoeneß übernommen wurde. So sorgte er mit Anrufen im Doppelpass oder inszenierten cholerischen Wutreden häufig dafür, den Druck und die öffentliche Aufmerksamkeit von der Mannschaft abzulenken. Die Analysen wurden intern gemacht und nicht in aller Öffentlichkeit ausgetragen. Doch transparente Selbstreflexion bei Trainer, Mannschaft oder Sportvorstand heute? Fehlanzeige. Vor allem der junge Coach wird mannschaftsintern für seine öffentliche Missbilligung der Teamleistung zunehmend kritisch gesehen. Den Spielern fehlt ironischerweise also die eigene Kritikfähigkeit ihres Vorgesetzten. Für Nagelsmann ist das eine komplett neue Situation, so steckte dieser in seiner Karriere noch nie in einer handfesten Krise, ging bisher immer nur steil nach oben. Zudem arbeitete er bisher noch nicht in einem Umfeld wie diesem, was ihm nach wie vor einen gewissen Kredit einbringt. Der Trainer ist bei weitem nicht der Hauptschuldige bei dieser ganzen Thematik. Bei Sportvorstand und Mannschaft sieht das dagegen deutlich anders aus. Ein Hasan Salihamidzic beispielsweise ist von Schuld in keiner Weise freizusprechen, denn auch er hatte sich auf den Wunsch seines Trainers bezüglich der Kaderstruktur eingelassen. Bei gegensätzlicher Meinung wäre sich über die Wünsche seines Untergebenen hinwegzusetzen für den Sportvorstand keinesfalls Neuland, Hansi Flick kann ein Lied davon singen. Offensichtlich hat aber auch er die Lage falsch eingeschätzt und das zusammengestellte Spielermaterial als homogen und kompatibel eingestuft. Eben diese Spieler wünschen sich intern mehr Selbstkritik von Nagelsmann, bieten diesem aber in den Partien selbst keine Argumente, durch sichtbares Aufbäumen und Kampfgeist in Schutz genommen zu werden. Also was erwartet man eigentlich? Der Trainer ist wie zuvor erwähnt definitiv nicht fehlerfrei und wird bei weiterhin andauernder Erfolglosigkeit nicht ungeschoren davonkommen, aber auch unter einem anderen Coach werden die Akteure ihre Leistung bringen und taktisch anspruchsvolle Vorgaben umsetzen müssen. Erst recht wenn der nächste Cheftrainer Thomas Tuchel heißen sollte, selbsternannter Taktikfanatiker und Mentor seines möglichen Vorgängers. Schlecht für die Alibiwortführer in der Mannschaft gegen Nagelsmann und seine öffentliche Selbstdarstellung.

Tuchel in Lauerstellung

Insgesamt findet sich der Verein nun in einer handfesten sportlichen Krise wieder, die auch den Trainer zwangsläufig wackeln lässt. Ein gängiger Mechanismus im Fußballbusiness. Zwar sprachen sich Kahn und Salihamidzic öffentlich klar für Nagelsmann aus, allerdings dürfte dieser intern mittlerweile deutlich kritischer beobachtet werden als noch zuvor. Ein Kader der nach seinen Vorstellungen zusammengestellt wurde und so überhaupt nicht funktioniert, ist im Zweifel zuerst immer ein Problem des Trainers und das weiß er auch. Nicht einfacher macht es für ihn also die Tatsache, das mit Thomas Tuchel einer der erfolgreichsten und renommiertesten Trainer der letzten Jahre auf dem Markt ist. Punktet der FC Bayern nicht ganz schnell wieder dreifach, wird der Name des ehemaligen Mainzers und Dortmunders wie ein Damoklesschwert über Nagelsmann hängen. Dieses Szenario abzuwenden, dürfte eigentlich im Interesse aller sein. Der Trainer will seinen Job behalten, Salihamidzic nicht den nächsten Griff ins Klo rechtfertigen müssen und die Vorstandsoberen keine weiteren Imageschäden und anderweitige Unruhen im Verein ausbügeln müssen.

Zusammenhalt als Schlüssel

Das Ziel aller Beteiligten muss also sein, an einem Strang zu ziehen und die Saison nicht frühzeitig entgleiten und seine Konkurrenten ziehen lassen zu müssen. Denn auch die größten Ausnahmekönner müssen ein gesundes Mannschaftsgefüge bilden, ohne das sportlicher Erfolg quasi unmöglich ist. Geschieht das nicht, mündet das über kurz oder lang in anhaltendem sportlichem Misserfolg und fehlender Konkurrenzfähigkeit auf höchstem Niveau. Geschah dies letzte Saison erst im Frühjahr in Champions League und Pokal, gilt es schon jetzt den Anschluss nicht zu verlieren und zwischenmenschlichen Krisen frühzeitig vorzubeugen. Denn Qualität ist in diesem Kader ohne Zweifel mehr als genug vorhanden. Wenn das geschieht, wird auch die Selbstwahrnehmung wieder zurechtgerückt und Nagelsmann als auch seine Spieler können sich selbst in einem gesunden Maße hinterfragen, ohne das in Zukunft gleich alles persönlich genommen werden muss.

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2 thoughts on “Die Fehlstarter Bayern – Ein Kommentar

  1. Starker Kommentar!! Ich glaube nicht, dass Nagelsmann bei den Bayern schon in dieser Saison vorzeitig entlassen wird, trotzdem sehe ich die Formkurve des Rekordmeisters als klares Warnsignal, dass die Bundesliga kein Selbstläufer wird…

  2. Hi Ben, freut uns wirklich sehr das dir der Kommentar gefällt! Ich stimme dir völlig zu, ich glaube auch nicht das sie Nagelsmann jetzt entlassen. Die Bayern werden wahrscheinlich auch wieder deutscher Meister, sollten aber langsam mal anfangen sich selbst zu ordentlich hinterfragen. So ne sportliche Krise immer gleich am Trainer festzumachen ist mir persönlich immer ein bisschen einfach. Glaubst du Thomas Tuchel ist im Zweifel eine Alternative?

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