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Vieles dreht sich in diesem Blog um aktuelle Geschehnisse aus der Fußballwelt. Während es in dieser heißen Saisonphase für etliche Teams um Meisterschaftsträume, schier endlose Geldbeträge als auch individuelle Erfolge geht, soll es heute mal etwas persönlicher werden. Ich möchte zusammen mit euch auf eine Erinnerung zurückblicken, die vielen ebenfalls noch gut im Gedächtnis sein sollte: Der Triumph von Underdog Portugal gegen hochfavorisierte Franzosen im EM Finale von 2016. Einige von euch können sich bestimmt noch an die extrem widrigen Umstände erinnern, die für leidenschaftlich kämpfende Portugiesen in Saint Denis damals vorherrschten: Der frühe Ausfall von Cristiano Ronaldo, seine legendäre Performance als Co-Trainer sowie der unvergessene Auftritt von „Messias“ Éder in Minute 109. Ich wünsche euch viel Spaß bei diesem Rückblick auf eines der legendärsten Ereignisse der jüngeren Fußballgeschichte in unserem neuen Format „4Ballers Retro“, in dem wir zusammen mit euch in gewissen Abständen immer mal wieder die emotionalsten Begebenheiten der Neuzeit Revue passieren lassen wollen.
Die Luft knistert
Schon morgens, als wir vom Aussichtspunkt „Senhora do Monte“ einen atemberaubenden Ausblick über die wunderschöne Stadt Lissabon genießen, scheint die Sonne warm auf alle Anwesenden herab. Von dort oben wirkt alles auf den ersten Blick sehr ruhig, doch schaut man sich die ganze Szenerie und das Treiben in den engen Gassen mal etwas genauer an, erahnt man schnell, dass heute absolut kein gewöhnlicher Tag ist. Es knistert in der so stolzen Hauptstadt auf der iberischen Halbinsel, mit ihren knapp 10 Millionen Einwohnern, von denen wirklich jeder einzelne auf ein ganz bestimmtes Ereignis hinzufiebern scheint: Es ist nicht weniger als das größte Spiel der portugiesischen Fußballgeschichte. An den Häusern prangen die Nationalflaggen in Übergröße und auch die vielen alten Karosserien ziehen mit ihren unzähligen Portugal Aufklebern die Aufmerksamkeit auf sich. Dabei erkennt man schnell die dominierenden Farben des heutigen Tages: Rot und Grün säumen die wunderschönen Palmenstraßen von Lissabon, wo Groß und Klein ihren ganzen Stolz über Trikots und Gewänder auszudrücken vermögen. Es liegt etwas Besonderes in der Luft, das EM Finale im Stade de France zwischen Gastgeber Frankreich und Underdog Portugal um Superstar Cristiano Ronaldo überstrahlt hier wirklich alles. Unweit vom Meer und der berüchtigten Christusstatue über der Stadt befindet sich die Fanzone, in der sich schon jetzt Portugal Fans tummeln und zusammen den ersten Umtrunk genießen. Man hat das Gefühl, die heißblütigen Südeuropäer feiern schon jetzt etwas, dass man als Außenstehender nicht so recht begreifen kann. Sich, das Leben und jeden einzelnen Tag zu zelebrieren, gehört wohl einfach zur DNA dieser Menschen und ist etwas, dass wir später an diesem Tag noch besser verstehen sollten.
Der Countdown
Die Stunden vor dem Anpfiff spitzen sich immer mehr zu, denn umso später es wird, umso mehr fanatische Portugiesen kommen auf den Straßen der Stadt zusammen, um sich gemeinsam auf das Finale einzustimmen. Dass im Vorfeld dieser Partie das einhellige Medienecho bestehend aus Experten, Spielern und Trainern befindet, die Nationalmannschaft angeführt vom frischgebackenen Champions League Sieger Cristiano Ronaldo habe eigentlich gar keine Chance, kümmert die grenzlos euphorischen Leute hier so wenig wie das Herabfallen reifer Mangos von den Bäumen in den Bergen. Sie glauben hier an ihr Team und an die Kraft des unbändigen Willens gegen alle Widerstände. Wie weit dieser sie wirklich tragen sollte, wussten die Leute zu diesem Zeitpunkt allerdings noch gar nicht. Einige Zeit später stehen wir alle versammelt, dicht an dicht vor der riesigen Leinwand, im Hintergrund die atemberaubende Kulisse eines Sonnenuntergangs im endlos weiten Meer, als die Menschen voller Inbrunst und Nationalstolz die Hymne ihrer Nation anstimmten. „A Portuguesa“ schallt durch die ganze Stadt und stellt auf Ewig für mich und all diejenigen, die an diesem Tag als Zeitzeugen vor Ort waren, eine einmalige Erfahrung da. Der Portugiese würde jetzt sagen: „Increíble“. Alles scheint angerichtet für ein rauschendes Fußballfest, doch die Stimmung wird nach nur wenigen Minuten bitter getrübt: Nach einem bösartigen Foul von Frankreichs Dimitri Payet an Kapitän Ronaldo, für dass der Übeltäter noch heute Drohungen jeglicher Art erhält, kann Portugals Nummer 7 trotz allem Aufbäumen nicht mehr weiterspielen. Der Schock ist grenzenlos, die Menge verstummt. Man kann die Gedanken eines jeden Fans praktisch hören: „Was machen wir jetzt nur?“ Alles im Spiel der Seleção ist zu diesem Zeitpunkt auf seinen Superstar ausgerichtet, den Mann von Real Madrid, der mit seinen übermenschlichen Fähigkeiten dafür sorgen sollte, den ersten Titel der Verbandsgeschichte nach Hause zu holen. Doch nun müssen sie ohne ihn klarkommen und warten, was dieses Spiel für sie ab diesem Zeitpunkt bereithält.
Wahrsager Ronaldo – Éder versetzt ein ganzes Land in Ekstase
In Folge dieses Schocks wirken Fans, Spieler und Trainerteam als Einheit komplett demoralisiert. Frankreich kommt immer mehr auf, schafft es allerdings bis zur Halbzeit nicht, in Führung zu gehen. Zu Beginn des zweiten Durchgangs kehren dann nicht nur die portugiesischen Spieler mit voller Motivation zurück, sondern auch ein neuer Co-Trainer, der sich kurzerhand einfach mal selbst als solcher installiert hat. Der wohl legendärste Auftritt, bis heute unvergessen, gehört einfach Cristiano Ronaldo. Wir alle haben die Bilder noch im Kopf: Ein wild gestikulierender Kapitän, lädiert wie ein Krieger in der Schlacht, der seine Männer unnachgiebig antreibt und nicht weniger als das Maximum fordert. Neben ihm mit Nationaltrainer Fernando Santos der stoische Pragmatiker, von CR7 ein Dutzend Male geschubst und umarmt. Ein Bild für die Götter und wohl ein einmaliger Vorgang in der Geschichte des Fußballs. Ich will an dieser Stelle gar nicht zu weit ausholen, ihr wisst, dass dieser Spieler in seiner Heimat weit mehr als nur eine Legende ist und wie das Ganze am Ende ausging, vermutlich auch. Kurz vor seiner Einwechslung prophezeit CR7 dem späterem Siegtorschützen Éder seine Heldentat und nach dessen Tor in Minute 109 liegt sich ganz Portugal in den Armen. Es folgen eine Bierdusche, dichtes Gedränge im Freudentaumel und kollektives Brüllen auf einem Niveau, dass wohl jegliche Dezibeltabellen sprengen würde. Dass die Franzosen auch in den restlichen 11 Minuten plus Nachspielzeit nichts mehr ausrichten können und alles vorher genannte von nun an Mal zehn genommen werden muss, versteht sich natürlich von selbst.
Die ewige Titelfeier
Im Anschluss an Portugals Triumph ist die Ekstase grenzenlos. Die Leute liegen sich in den Armen und weinen leidenschaftliche Freudentränen. Kinder klettern die Podeste hinauf und auch Erwachsene geben sich vollends ihren Gefühlen hin. Es ist der Wahnsinn und sogar als Fremder kannst du spüren, was dieser Sieg für die Menschen in diesem Land in diesem Moment bedeutet. Man schafft es tatsächlich, trotz aller Widrigkeiten den Titel nach Hause zu holen und macht die Bevölkerung so noch stolzer, als sie ohnehin schon war. Im Anschluss waren die Restaurants voll, die Plätze gefüllt und hupende Autos, immer noch mit ihren unzähligen Stickern beklebt, drehen ihre Runden durch die Straßen Lissabons. Ein unbeschreibliches Erlebnis als Gast in einem Land, dass sich für uns von einer ganz neuen Seite zeigte. Auch in den kommenden Tagen kommt eine ganze Stadt, ich würde behaupten ein ganzes Land, nicht zur Ruhe. Was nicht zuletzt daran lag, dass die Nationalhelden am Tag nach dem Finaltriumph für die Feierlichkeiten zurück nach Portugal kommen und wir mittendrin. Wenn du dachtest, das Finale und sein Spielverlauf wären das höchste der Gefühle gewesen, nahm die Ekstase beim Empfang der Mannschaft auf dem Balkon des Bürgermeisters noch ungeahntere Züge an. Ein kleines Land ganz groß und auch für mich ein Erlebnis, dass ich sowohl in fußballerischer als auch persönlicher Hinsicht niemals vergessen werde. Obrigado, Portugal!