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In Madrid bricht eine neue Zeitrechnung an: Xabi Alonso wird auf Erfolgstrainer Carlo Ancelotti folgen. Doch der Baske sieht sich mit unzähligen Herausforderungen konfrontiert.
Mit der 3:4-Niederlage im vierten und letzten Clasíco der Saison ist klar: Real Madrid wird in diesem Jahr titellos bleiben. Und eine Spielzeit ohne große Errungenschaften hat im königlichen Kosmos den Naturgesetzen nach vor allem personelle Konsequenzen. Der erfolgreichste Trainer der Vereinsgeschichte, Carlo Ancelotti, wird dies am Saisonende ein zweites Mal zu spüren bekommen. Der Italiener verlässt das weiße Flaggschiff um Platz für einen Neuanfang zu machen. Einen Neuanfang unter Xabi Alonso, der ab der kommenden Spielzeit die Geschicke an der Concha Espina leiten wird.
Doch wie könnte die Zukunft unter dem Leverkusener Meistercoach aussehen, dessen Schicksal bereits seit Jahren vorgezeichnet scheint? Alonso bringt im Gegensatz zu seinem Vorgänger und Mentor, unter dem er als Spieler einst für Real Madrid und den FC Bayern auflief, einen spielerisch deutlich flexibleren Ansatz mit. Der gebürtige Baske zeichnet sich durch ein dynamisches Ingame-Coaching aus, legt viel Wert auf qualitativen Ballbesitz und fordert von seinen Spielern stets das Maximum ein. Der Verwaltungsmodus hat ausgedient.
Alonso und seine Lehrmeister
Der 43-Jährige gilt so als so etwas wie die perfekten Symbiose seiner großen Lehrmeister. Die taktischen Einflüsse kommen ohne Zweifel von Pep Guardiola. Er besitzt die menschliche Komponente eines Ancelotti sowie die defensive Versiertheit von José Mourinho. Alonso ist eine wohltemperierte Mixtur, die es in Madrid auch dringend braucht, um einen Neuanfang zu starten.
In Sachen Taktik könnte Alonso in Madrid für eine echte Revolution sorgen. Mit einer Dreierkette, die der Ex-Profi in Leverkusen zumeist präferierte, käme auf die Real-Akteure eine bahnbrechende Innovation zu. Vor allem deshalb, da in Sachen Taktik zuletzt viel der individuellen Qualität der Königlichen überlassen wurde. So hießen die Trainer der letzten zwölf Jahre bis auf kurze Ausnahmen immer entweder Carlo Ancelotti oder Zinedine Zidane. Bis auf wenige Monate unter letzterem zu Beginn des Jahres 2021 agierte Madrid noch nie mit drei Mann in letzter Linie.
Defensive Runderneuerung
Sollte sich Alonso tatsächlich dazu entscheiden, mit drei Innenverteidigern zu agieren, schreit die zuletzt arg gebeutelte Defensive nach mindestens einem Neuzugang. Mit Raúl Asencio und Antonio Rüdiger befanden sich in der verkorksten Spielzeit 2024/25 nur zwei Innenverteidiger auf einem ordentlichem Niveau. Sowohl bei David Alaba als auch bei Eder Militao ist langfristig schlichtweg nicht abzusehen, ob sie ihren sportlichen Zenit bereits überschritten haben. Mit Bournemouth-Shootingstar Dean Huijsen drängt sich hier eine talentierte, wie zukunftsfähige Lösung auf.
Auf den Schienen besitzt Real zumindest auf rechts mit dem ablösefreien Trent Alexander-Arnold sowie dem vor einer Rückkehr stehenden Dani Carvajal sportlich zwei Weltklasse-Optionen. Während Lucas Vazquez den Verein wohl im Sommer verlassen wird, dürfte auch auf links mindestens ein Akteur aus dem Duo Ferland Mendy/Fran Garcia den Verein den Rücken kehren. Weil sich beide Akteure nur bedingt für eine Position in Alonsos Spiel eignen, wird man wohl auch auf dieser Seite bald einen Neuzugang im Bernabeú begrüßen dürfen. Mit Alvaro Carreras (Benfica) und Miguel Gutierrez (Girona) liegen auch hier zwei einstige Real-Jugendspieler auf der Hand.
Geht man nun zum Mittelfeld über, lässt sich eins sicher feststellen: Es ist das Prunkstück Reals, das in den vergangenen Jahren immer wieder mit hochtalentierten Akteuren verstärkt wurde. Auch für den einstigen Mittelfeldstrategen Alonso besitzt der „Maschinenraum“ selbstredend eine entscheidende Bedeutung. Agierte der Baske in Leverkusen zumeist mit einem 3-4-2-1, könnte er sich in Madrid auch an einem 3-5-2 versuchen. So oder so, die Plätze im Mittelfeld werden umkämpft sein.
Mit Aurelien Tchouameni, Jude Bellingham, Eduardo Camavinga, Fede Valverde, Daniel Ceballos, Arda Güter und möglicherweise sogar Luka Modric verfügt Real über eine unfassbare Qualität in der Schaltzentrale. Sollte der neue Übungsleiter tatsächlich in einem 3-5-2 operieren, gelten sowohl Fede Valverde als auch Jude Bellingham als gesetzt. Während der Uruguayer die nötige Dynamik mitbringt, verfügt der Engländer über eine hervorragende Übersicht.
Wer agiert neben den Superstars?
Je nach dem wie offensiv Alonso das königliche Spiel interpretieren will und wird, könnten daneben entweder Dani Ceballos oder Arda Güler auflaufen. Ceballos entspräche am ehesten dem Profil des filigranen Strategen, das Alonso einst selbst ausfüllte. Nicht von ungefähr forderte der 43-Jährige intern vehement die Verpflichtung von Europameister Martin Zubimendi, der vor einem Wechsel zum FC Arsenal steht.
Sieht der neue Chefcoach die defensive Balance mit Bellingham und Valverde bereits als ausreichend gewährleistet an, könnte Rohdiamant Güler in der Rolle von Florian Wirtz hinter den Spitzen zum Einsatz kommen. Für Tchouameni oder auch Eduardo Camavinga könnte es folglich durchaus eng werden. Wahrscheinlicher als das ein Akteur das königliche Mittelfeld noch verstärkt, ist eher ein Abgang auf dieser Postion.
Alonsos Offensivpuzzle
Alonso, der Real bereits zur anstehenden Klub-WM übernehmen soll, könnte in der Offensive strikt nach dem Motto vorgehen: Alles so wie immer. Was nach einer titellosen Saison sowie den dürftigen Auftritten eines Vinicius Junior zunächst paradox wirkt, ergibt auf den zweiten Blick durchaus Sinn. Sowohl Kylian Mbappé als auch der Brasilianer bringen ohne Zweifel genug Qualität mit. Schafft der Welt- und Europameister es mit seinem Staff, die persönlichen Befindlichkeiten beiseite zu schieben, wird dieses Offensiv-Duo in den kommenden Jahren nahezu jede Defensive in Angst und Schrecken versetzten.
Öffentliche Nebendarsteller wie Rodrygo oder Brahim Diaz könnten in diesem Jahr unter Umständen das Weite suchen. Beide könnten dem personellen Ansatz unter Alonso zum Opfer fallen, der seine Stürmer gerne nah am Tor positioniert sieht. Auch die Möglichkeit einer sofortigen Reinvestition einer hohen Ablösesumme in andere Mannschaftsteile (Rodrygo könnte bis zu 100 Millionen einbringen) könnte für die Vereinsoberen ein gewichtiges Argument für einen Verkauf darstellen. Sollte einer der beiden Flügelspieler den Verein im Sommer verlassen, könnte sich Real noch mit einem großbewachsenen Wandstürmer á lá Joselu verstärken.
Änderungen im Staff sind ebenfalls geplant
Mit der Ankunft des neuen Trainers wird es auch im Stab der Königlichen einige Änderungen geben. Neben Carlo Ancelotti werden auch seine beiden Co-Trainer, Sohn Davide als auch Francesco Mauri, den Verein verlassen. Mit Alberto Encinas und Sebastian Parilla bringt Alonso Vertraute aus Leverkusen mit. Unklar ist derzeit noch, ob Alonso im Athletikbereich weitere Änderungen plant. Mit dem umstrittenen Antonio Pintus könnte ein Gesicht des Vereins im Sommer ebenfalls Abschied nehmen. Mit Ismael Camenforte-Lopez könnte auch hier ein bekanntes Gesicht aus Leverkusen folgen.
Den Königlichen steht somit auf mehreren Ebenen ein gewaltiger Umbruch bevor. In Madrid ist klar: So wie es jetzt ist, kann es nicht bleiben. Und auch wenn die Ankunft Alonsos vom Madridismo herbeigesehnt wird, wird sich auch der 43-Jährige Fanliebling schnell mit den unfassbar hohen Erwartungen des Vereins konfrontiert sehen. Die erste Gelegenheit, sportlich ein Ausrufezeichen zu setzen, bietet sich bereits bei der bevorstehenden Klub-WM in rund vier Wochen in den USA.