Schwäbische Renaissance

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Unter Sebastian Hoeneß steht der VfB Stuttgart als absolutes Überraschungsteam der diesjährigen Bundesligasaison nach 17 Spieltagen trotz der 1:3 Pleite in Gladbach auf einem überragenden dritten Rang. Mit dieser Entwicklung gerechnet hätten wohl auch rund ums Schwabenland nur die allergrößten Optimisten. Für dieses Team, das letzte Saison nur über die Relegation den Klassenerhalt sichern konnte, bieten sich durch diesen Höhenflug längst ungeahnte Perspektiven. Das ist für uns heute Grund genug dafür, einmal genauer auf die Schlüsselfaktoren zu blicken, die diese schwäbische Renaissance erst ermöglichten und den VfB und sein Umfeld von früheren Zeiten träumen lassen.

Gegen alle Widerstände

Als der VfB Stuttgart vergangenen Mai gegen den HSV nur über die Relegation den Ligaverbleib sichern konnte, gingen viele im Vereinsumfeld unter Trainer Sebastian Hoeneß auch in der neuen Saison von einem Überlebenskampf um den Klassenerhalt aus. Die Aussichten auf eine sorgenfreie Spielzeit wurden auch in der Folge zunächst nicht rosiger: Zwar hielt man Schlüsselspieler wie Guirassy oder Führich, musste aber mit Kapitän Wataru Endō oder Konstantinos Mavropanos zwei zentrale Eckpfeiler des Projekts in die Premier League ziehen lassen. Die sportliche Führung sah sich also mit dem Dilemma konfrontiert, den Kader mit geringem Budget nachhaltig verstärken zu müssen und tat das beispielsweise mit den Transfers von Angelo Stiller (Hoffenheim), Alexander Nübel (FC Bayern/Leihe), Deniz Undav (Brighton/ Leihe) oder Maximilian Mittelstädt (Hertha BSC). Im Verein sah man sich nun zum einen mit einem komplett runderneuerten Kader (11 Zugänge) sowie einem Trainer konfrontiert, dem nach seiner Zeit in Hoffenheim nur die wenigsten ein besonderes Entwicklungspotential attestiert hätten. Was dann bis zum heutigen Tag folgte, war eine Metamorphose, die ihresgleichen sucht.

Ein Gebilde aus Überperformern

Nicht nur Sebastian Hoeneß, der nicht wirklich zu Höherem berufen schien, sondern auch sein Team straften ganz Fußballdeutschland in der Folge lügen. Der Übungsleiter fand schnell einen taktisch wie personell höchst erfolgreichen Ansatz und seine Mannschaft spielte Fußball wie von einem anderen Stern. Es folgten unter anderem berauschende Siege gegen den BVB, Union Berlin oder den SC Freiburg, bei denen nicht zuletzt das überragende Sturmduo aus Serhou Guirassy und Deniz Undav regelmäßig brillierte. Auch Chris Führich, der in der Zwischenzeit sogar zum Nationalspieler avancierte, besitzt großen Anteil am schwäbischen Höhenflug. Dieses Gebilde, welches nach den Abgängen seines Kapitäns sowie des Abwehrchefs entgegen aller Erwartungen keinerlei Zeit brauchte, um Automatismen einzuspielen, geschweigedenn sich schwer damit tat, Ergebnisse einzufahren, funktionierte sofort und spielte sich so zwischenzeitlich sogar an die Tabellenspitze der Fußball Bundesliga.

Schwäbische Taktik Analyse

Doch wie genau macht Stuttgart das? Hoeneß entschied sich nach seinem Amtsantritt sukzessive dazu, vom vorher etablierten 4-3-3 abzukehren und einen spieltaktisch deutlich variableren Ansatz zu wählen. Zunächst im vielseitigen 3-4-2-1 System, das dem VfB einen deutlich kontrollierteren Spielaufbau ermöglichte, dann aber auch immer wieder im 3-4-3 oder mittlerweile auch häufig im 4-2-3-1 System. Mit diesem taktischen Ansatz sowie der offeneren Raumaufteilung kommen vor allem die technisch versierten Außenverteidiger Vagnoman und Mittelstädt entweder durch die Besetzung der Breite oder „invers“ (ins Zentrum eingeschobene Außenverteidiger) zur Geltung. Die Konsequenz im Spiel des VfB zeichnet sich seither durch etliche Erfolgsgaranten aus. Torwart Nübel beispielsweise, sorgt mit seinem sauberen Spielaufbau für eine beeindruckende Pressingresistenz. Auch Offensiv bemüht der VfB ebenso variabel spielerische Elemente und schafft oftmals durch taktisch versierte Unterschiedsspieler wie Chris Führich 1-gegen-1 Situationen, um selbst zum Abschluss zu kommen, oder Toptorjäger wie Guirassy oder Undav bestmöglich einzusetzen. Eine tiefgreifender Taktikanalyse findet ihr hier.

Wo ist die Grenze?

Ebenjener Guirassy, zwischenzeitlich durch eine Verletzung ausgebremst, steht nach 14 Spielen bei 17 Saisontoren und damit bereits bei einem mehr, als der letztjährige Torschützenkönig Niclas Füllkrug. Nur Harry Kane (21) überbietet diese Ausbeute noch. Weitere Erfolgsgaranten wie Deniz Undav und Chris Führich kommen zusammen auf weitere 22 Torbeteiligungen. Ohne Zweifel erleben viele Akteure in diesem Kader einen überragenden Moment, der die Frage aufkommen lässt, wo für diese Spieler eigentlich die Grenze liegt. Funktionieren sie nur in diesem Gebilde und wie lange schafft es die Mannschaft, die aktuelle Performance, die bei allem Respekt sicherlich über dem liegt, was sie eigentlich zu leisten im Stande ist, zu halten? Spätestens im Sommer werden die grandiosen Leistungen genannter Akteure so einige Interessenten auf den Plan rufen, die deutlich finanzstärker auftreten als der VfB Stuttgart und somit sicher auch den einen oder anderen Abgang provozieren. Spätestens dann wird es für Sportdirektor Wohlgemut und Co. erneut zu einer herausfordernden Aufgabe werden, den Kader optimal zu verstärken.

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