Lesezeit: 10 Minuten
Wir haben sie also mal wieder, unsere geliebte Länderspielpause. Wie ihr merkt, ist der ironische Unterton in vorangegangener Feststellung unverkennbar und das hat auch seine Gründe. Die Nationalmannschaften und die Ansetzungen ihrer Spiele zwischen dem vollgepackten Terminkalender des europäischen Vereinsfußballs sind auch medial immer wieder ein Thema, das die öffentliche Wahrnehmung spaltet. Wenige Aspekte, die über die Faszination des Clubfußballs hinausgehen, werden so kontrovers diskutiert und von so vielen Seiten so kritisch gesehen wie beispielsweise die zusätzliche Belastung durch die Nationalmannschaften und die Auswirkungen auf Spieler aus aller Welt. Weil auch ich meine ganz eigene Meinung dazu habe, möchte ich mich im folgenden Text mal etwas detaillierter mit der ganzen Thematik sowie ihren einzelnen Facetten auseinandersetzen und aufzeigen, welche Alternativen und Lösungsansätze zukünftig denkbar wären. Euch erwarten komplett neue Blickwinkel, eine ganz eigene Meinung zu unserer Nationalmannschaft sowie eine Einordnung der Rolle von Verband, Einzelspielern sowie des UEFA bzw. FIFA Rahmenkalenders.
Warum verlieren die Nationalmannschaften seit Jahren an Bedeutung?
Zu allererst möchte ich Folgendes sagen: Ich habe mich bereits vor ein paar Monaten im Zuge der Nations League sowie der anstehenden Winter WM in Katar speziell zum DFB sowie den einzelnen Facetten in puncto Außendarstellung, Image und Personal geäußert, weswegen ich an dieser Stelle auf jenen Artikel verweisen möchte. Trotzdem sollten gewisse Aspekte einleitend erneut aufgegriffen werden, um die Thematik, die das große Ganze bestimmt, besser verdeutlichen zu können: Eingangs war die Rede davon, dass die Nationalmannschaften bzw. deren Länderspielterminierungen von vielen Seiten immer wieder kritisch gesehen werden. Das ist so, weil sie zum einen den Spielfluss des Vereinsfußballs unterbrechen und zum anderen, weil sie durch die immer stärker werdende Unpopularität ihrer Entscheidungsträger, vor allem hierzulande, immer mehr an Relevanz verlieren. Die meisten leidenschaftlichen Fußballfans, zu denen auch ich mich zählen würde, bringen mittlerweile nur noch einen gequälten Seufzer hervor, wenn sich abzeichnet, dass die Vereine aufgrund von wichtigen Testspielen des DFB gegen Peru nun erst einmal mindestens zehn Tage pausieren müssen. An dieser Stelle sei gesagt, dass das Problem, welches ich anspreche, ein interkontinentales ist, wir uns allerdings aufgrund der geografischen Nähe ausschließlich auf den DFB bzw. den europäischen Teil konzentrieren wollen. So werden von Verbandsseite immer wieder extrem kontroverse Entscheidungen initiiert, die öffentlichkeitswirksam zum „Wohle der Allgemeinheit“ getroffen werden. Bestes Beispiel dafür ist die hinlänglich bekannte Thematik bezüglich politischer Statements im Zuge der Winter WM in Katar, als man sportlich auf ganzer Linie versagte und den Fokus lieber auf Nebenkriegsschauplätze richtete. Wurde das Vorgehen während des Turniers auch von mir noch anders wahrgenommen, war es im Nachhinein betrachtet definitiv eine äußerst unglückliche Entscheidung. Auch hierzu existiert auf dieser Plattform ein Artikel, der aus damaliger Sicht einen anderen Blickwinkel auf die Herangehensweise der Nationalmannschaft bieten sollte. Aufgrund dieser und vieler anderer Umstände wird der ausbleibende Erfolg sowie die schlechte PR (Public Relations dt. = jegliche Außenkommunikation bspw. eines Fußballverbands wie die des DFB) mit den handelnden Personen assoziiert, die im Zuge des Misserfolgs wie im Falle von Oliver Bierhoff (Ehemaliger Geschäftsführer Nationalmannschaften und DFB-Akademie) oder Fritz Keller (Ehemaliger DFB-Präsident) von ihren Aufgaben entbunden wurden. Diese ständige Personalrochade, die auf Ebene des Deutschen Fußball Bunds in den letzten Jahren immer häufiger stattfand, trägt in jedem Fall wenig zur Identifikation der Fans bei, womit wir schon beim nächsten essentiellen Punkt angekommen wären.
Woher soll die Identifikation kommen?
Blicken wir doch hierzu mal kurz in den Vereinsfußball, der ruht, während die Nationalmannschaften ihre Länderspiele absolvieren. Was macht diese Faszination aus, die die Fans dazu treibt, jede Woche zu hunderttausenden in die Stadien ihrer Lieblingsmannschaften zu strömen und millionenfach zu Hause vor den Bildschirmen mitzufiebern? Die Vereine sind alle auf ihre eigene Art und Weise individuell, nicht umsonst hat jeder Fan eine Geschichte mit seinem Herzensclub, denn dieser erschafft durch seine Individualität eine Faszination, die durch Ereignisse, Spieler, Trainer oder das Vereinsumfeld entstanden ist. Der Vereinsfußball vereint auf diese Art und Weise auch aufgrund seiner Regelmäßigkeit und des Zusammentreffens der unterschiedlichsten Ethnien etwas, das einem Mythos gleicht. Ich würde nicht soweit gehen und behaupten, die ausbleibende Regelmäßigkeit der Spiele, die übrigens im Verein mittlerweile äußerst (Stichwort Belastung) kritisch zu sehen ist, ist im Nationalmannschaftsfußball ein Nachteil, trägt aber sicher aufgrund der oft ungünstigen Konstellationen dazu bei. Jedoch geht das Mysterium der Entfremdung mit den bisher angesprochenen Punkten bezüglich der wenigen Identifikationsfiguren sowie den ungünstigen Terminen ebenfalls einher und musste deswegen hier zur Sprache gebracht werden. Ein weiteres Thema ist natürlich der Spielstil der Nationalmannschaft und die Frage nach den Erfolgen. Diese können wir uns alle selbst beantworten, so gab es nach dem Weltmeistertitel von Rio 2014 einfach keine nennenswerten sportlichen Errungenschaften mehr, sodass „Die Mannschaft“ (Stichwort schlechte PR) peu á peu an öffentlichem Ansehen verlor. Nicht nur hierzulande, sondern auch weltweit. Wurde man in den früheren Jahren unter Joachim Löw noch für seinen berauschenden Offensivfußball gefeiert, war davon auch aufgrund des vorhandenen Spielerpersonals die letzten acht Jahre nicht mehr viel zu sehen. Die etlichen Identifikationsfiguren wie Prinz Poldi, Schweini oder Miro Klose sind schon seit Jahren nicht mehr Teil des Ganzen und konnten mit oft unnahbar wirkenden Charakteren wie Kimmich oder Gündoğan keinesfalls ersetzt werden.
Keinerlei Bindung an die eigene Nationalmannschaft
Sind wir schon bei Charakteren der aktuellen Nationalmannschaft, bleiben wir doch gleich bei personellen Entscheidungen und deren Außenwirkung. Um auch hier wieder die Brücke zum Thema der Sinnhaftigkeit von Länderspielen in diesem Stadium sowie deren Ansetzungen zu schlagen, betrachten wir nun einmal die Haltung der Spieler selbst, was deren gesetzte Prioritäten betrifft. Hier kommt mir als erstes der Fall Marco Reus in den Sinn, der weder an der EM 2021 noch an der WM 2022 teilnahm, weil er sich lieber regenerieren bzw. seine Verletzung vollständig auskurieren wollte. Was macht das also in der öffentlichen Wahrnehmung mit diesem Spieler sowie seiner in Frage gestellten Hingabe bezüglich der Nationalmannschaft? Er sendet damit ein klares Signal, das aussagt, dass dieser Akteur mehr wert darauf legt, für die „wichtigen“ Aufgaben der Saison fit zu bleiben bzw. es zu werden, statt sich für sein Land aufzuopfern. Mir ist klar, dass wir hier von großen Turnieren reden, allerdings ist die Absage an seine eigene Nation immer ein äußerst heikler Fall, der auch bei den jetzigen Testspielen ein gewisses Medienecho hervorrufen würde. Auch hier vermittelt ein Marco Reus durch die Blume klar seine Prioritäten die vor allem seinem Verein gelten und den deutschen Fans gleichzeitig vermittelt, was er von derartigen Veranstaltungen hält. Das Beispiel dieses einen Spielers fällt schnell auf andere Kollegen zurück und sorgt dafür, dass im Kollektiv Zweifel an der besagten Hingabe aufkommen, erst Recht wenn die sportlichen Erfolge sich dann nicht einstellen. Es ist zwar ein recht vorschneller Schluss, den weite Teile der Öffentlichkeit hier oftmals ziehen, verdeutlicht aber sehr genau die Mechanismen unserer Gesellschaft. Spricht man von bewussten Entscheidungen gegen sein Land, sind auch die mittlerweile wie selbstverständlich wirkenden Verbandswechsel einzelner Fußballer ein Thema. Diese Akteure besitzen meistens mehrere Staatsangehörigkeiten oder deren Vorfahren kommen aus anderen Ländern, in denen die Spieler bessere Einsatzchancen sehen. Oftmals passiert das bei solchen Profis, die in großen Fußballnationen wie Frankreich, Deutschland oder Spanien geringe Chancen auf die Teilnahme an Länderspielen sehen und sich so mehr Möglichkeiten erhoffen. Wechselt ein Spieler das Land, für das er aufläuft, geht damit gleichzeitig der Status der zweiten Wahl auf seine neue Nationalmannschaft über. Sicherlich auch hier vor allem unter Betrachtung der europäischen Praktiken kein Punkt, der die Attraktivität der Nationen, zwischen denen er gefühlt hin- und herwechseln kann, wie er gerade will, weiter verstärkt. Dieser Praxis müsste in gewisser Weise von den jeweiligen Verbänden ein Riegel vorgeschoben werden und im übergeordneten Zuständigkeitsbereich der FIFA liegen, die der nächste und entscheidende Punkt auf unserer Liste ist.
FIFA und UEFA als zentrales Problem
Wenden wir uns nun einmal ab von nationalen Verbandsverfehlungen und widmen uns dem großen Strippenzieher im Hintergrund: Der UEFA bzw. der FIFA. Es gibt ein schönes Sprichwort, das besagt, „der Fisch stinkt immer vom Kopf“. Dieses trifft es in Anbetracht der Machenschaften dieser Organisationen eigentlich perfekt. Ich erwähnte vorhin schon einmal die Sinnlosigkeit von Wettbewerben wie der UEFA Nations League und schlug die Brücke zur damit einhergehenden Betrachtungsweise der Nationalmannschaften. Wie man sieht, findet alles früher oder später wieder zusammen, getreu dem physikalischen Prinzip von Ursache und Wirkung. In diesem Fall verhält es sich ähnlich, wobei angesprochene Dachverbände durch ihre Monopolstellung und ihren beispiellosen Machtmissbrauch alle Fäden in der Hand halten. Leiert man etwas an, dass nicht funktioniert, reduziert man durch geschickte verbandspolitische Zensur das Echo und leitet andere Schritte in die Wege, die sich eben auch auf unsere Nationalmannschaften auswirken. Seit Jahren findet man auf dieser Ebene immer wieder neue Ideen, immer wieder Schlupflöcher dafür, um noch größere, noch pompösere, noch extravagantere Turniere zu organisieren und dass alles unter dem Deckmantel des sportlichen Wettbewerbs. Dieser Artikel ist nicht dazu da, um auf die Missstände in den Reihen von FIFA und UEFA aufmerksam zu machen, dass würde in jedem Fall den Rahmen sprengen. Allerdings handelt es sich bei den Auswirkungen dieses Systems um den zentralen Faktor bezüglich der Entfremdung, die nebenbei auch im Vereinsfußball, besonders der UEFA Champions League, immer wieder Thema ist. Allerdings scheint die angesprochene Komplexität, wie sie diesbezüglich im Nationalmannschaftsfußball auftritt, seltsamerweise nicht die Gesetze der Vereinswettbewerbe zu bedingen. Dieser Fakt ist bei näherer Betrachtung mehr als nur eine Erwähnung wert, da er das Problem auf thematisierter Ebene umso deutlicher erstrahlen lässt. Mehr Wettbewerbe auf Nationalmannschaftsebene bedeuten zwar mehr TV-Einnahmen und sonstige Erlöse aus Vermarktung, gleichzeitig aber auch gewaltige Interessenskonflikte bezüglich des Fußballs und der ausbleibenden Nähe zur Gesellschaft. Es werden immer mehr Wettbewerbe organisiert und ganze Turniere durch Staaten, in denen Menschenrechtsverletzungen an der Tagesordnung stehen, mithilfe der FIFA für Propaganda und ähnliches missbraucht. Man lässt sich bewusst instrumentalisieren und sorgt so für die Projektion der Missstände auf die Nationalverbände, die bei diesem Spiel auch noch mitspielen und es gleichzeitig verpassen, ein wichtiges Statement beispielsweise durch den Rückzug von solchen Turnieren zu setzen. Ihr merkt, dass auch hier wieder eine Wechselwirkung stattfindet, die es den Auswahlmannschaften auch unter Rücksichtnahme dieser Betrachtungsweise nicht leichter macht, woran man aber definitiv selbst Schuld ist.
Weniger Länderspielblöcke für besseren Flow
Fassen wir das Ganze mal zusammen, wird immer klarer ersichtlich, aus welchen Punkten sich die enstandene kollektive Abneigung zusammensetzt: Wir haben einen Verband, der in den letzten Jahren durch schlechte Kommunikation, mangelhaftes Personalmanagement und ausbleibenden sportlichen Erfolg massiv an Ansehen verloren hat und es nicht schafft, dem durch präventive Maßnahmen entgegenzuwirken. Die Nationalspieler fallen in der Regel eher durch ihr Fernbleiben oder durch plötzliche Verbandswechsel, als durch gute Leistungen auf und wir haben einen Welt- sowie einen europäischen Dachverband, der willkürlich jedes Vorgehen im Stile einer Diktatur durch die steigenden Einnahmen rechtfertigt. Nicht gerade die optimalsten Voraussetzungen, um den einzelnen Nationen Sympathie und Leidenschaft entgegenzubringen. Anfangs kündigte ich Lösungsansätze an, die dazu anregen sollen, das ganze Prozedere einmal zu überdenken, weshalb ich hier nun zwei dieser Gedanken konkret äußern möchte. Lassen wir uns doch mal auf ein Gedankenexperiment ein: Wie wäre es, wenn wir die vielen nervigen Länderspielpausen zusammenkürzen würden, um sie auf ein oder maximal zwei Perioden zu verteilen? Wir hätten die gleiche Anzahl an Spielen, würden aber die Frustration im Vereinsfußball abdämpfen, indem wir höchstens zwei dieser Unterbrechungen in den Rahmenkalender einflechten würden? Wir hätten zwar in dieser Abstellungsperiode mehr Länderspiele, könnten aber erstens einen besseren Fluss im gesamten Jahr gewährleisten und vor allem belastungstechnisch entgegenwirken, indem wir anstelle der früheren Länderspielpausen Trainingslager oder Regenerationseinheiten anordnen? Auch hier hätten wir zwar immer wieder Unterbrechungen, die allerdings in der öffentlichen Wahrnehmung mehr Anklang finden würden, da sie für ihre Teams einem höheren Zweck dienen würden.
Weniger Wettbewerbe für mehr Regeneration
Der andere Gedanke, den ich an dieser Stelle äußern möchte, ist ein recht offensichtlicher und doch der naheliegendste und effektivste. Ich sprach gerade von Regeneration oder Trainingslagern, doch diese sind nur möglich, wenn man zum einen eine bessere Belastungssteuerung gewährleisten kann und zum anderen, wenn FIFA bzw. UEFA nicht alle sechs Monate einen neuen Wettbewerb aus dem Boden stampfen. Ein großes Problem der letzten Jahre sind die massiv gestiegenen finanziellen Möglichkeiten im Profifußball, die für mehr Wettbewerbe natürlich auch mehr Einnahmen bedeuten. Schafft man es, den finanziellen Pool auf ein paar wenige Kampagnen und Turniere zu konzentrieren, hätten wir auch das Problem der Übersättigung sowie der gesundheitlichen Überlastung der Spieler gelöst. Alles in allem sind die Probleme, was die Nationen und ihre Länderspiele angeht, sehr vielschichtig. Wir sollten uns in Zukunft mehr dahingehend orientieren, dass wir wegkommen von Gedanken wie: größer, weiter, höher und schneller. Das wird den Fußball, der sich in den letzten 10-15 Jahren sowieso schon massiv verändert hat, immer weiter von den Werten wegbringen, für die er ursprünglich einmal einstand: Respekt, Toleranz, Zusammenhalt. Die Nationalmannschaft und alle Beteiligten machen aufgrund ihrer polarisierenden Politik da nur den Anfang und werden in den kommenden Jahren dafür sorgen, dass immer mehr Probleme und Konflikte aus diesen Verfehlungen resultieren werden. Es bleibt für mich einfach nur zu hoffen, dass sich die führenden Gremien mal Gedanken über die im Text herausgestellte Probleme machen und dafür sorgen, dass sich die Interessen der Einzelnen auf lange Sicht wieder zu einem Großen Ganzen zusammenführen lassen, damit auch die Nationalmannschaften den öffentlichen Eindruck wieder zum Besseren korrigieren können.