Die Bundesliga und der VAR – Eine kommentierende Analyse

Der Videobeweis ist auch in dieser Saison wieder einmal in aller Munde. Videorefereedebatten hier, geheime VAR-Listen da, das deutsche Schiedsrichterwesen kommt (auch selbstverschuldet) einfach nicht zur Ruhe. Jahr für Jahr entstehen immer wieder hitzige Diskussionen über die verschiedensten Thematiken. Der Ursprung der ganzen Polemik ist hierbei, das das Regelwerk in so vielen Fällen einfach (noch) nicht genau genug definiert ist, somit für Fans wie für Spieler oft nicht nachvollziehbar, und das soll was heißen. Wenn schon die Protagonisten die genauen Regeln und deren „Schlupflöcher“ nicht kennen, wer dann? Von der generellen Anwendung über die bestehende Notwendigkeit bis hin zur Transparenz von Entscheidungen der jeweiligen Videoassistenten ist alles dabei. Zudem sind auch externe Einflüsse in die ganze Thematik miteinzubeziehen, die von Außen immer wieder an den VAR (Video Assistant Referee) und dessen Abläufe herangetragen werden. Beispielsweise das Vorgehen von Vereinen und Fans, bezüglich medienwirksamer Aussagen oder angeregten Regeländerungen. Ein Teufelskreis also, da diese Parteien nicht genau im Bilde sind über das Reglement und somit versuchen, Einsichten und Einfluss zu gewinnen. Der Videobeweis ist und bleibt ein vielschichtiges, omnipräsentes Thema, dass im Folgenden in einer kommentierenden Analyse aufgearbeitet und kritisch hinterfragt werden soll. Abschließend soll mit Lösungsansätzen aufgezeigt werden, wie man in Zukunft mit dem VAR verfahren sollte.

Fünf Jahre zwischen Licht und Schatten

Seit fünf Jahren, um genauer zu sein seit dem Jahr 2017, gibt es den Videobeweis mittlerweile. Ein halbes Jahrzehnt also, seitdem sich der Lieblingssport der Deutschen wie man ihn kannte von Grund auf verändert hat. Viele Fußballromantiker verfluchen ihn, andere befürworten ihn als Allheilmittel für gerechtere Entscheidungen im Millionenbusiness Bundesliga. Anlässlich seines Geburtstages am 17.08.22 wurde bilanziert, dass der VAR 527 Mal während eines in Deutschland ausgetragenen Wettbewerbs intervenierte (Stand 18.08.22). Laut Projektleiter Dr. Jochen Drees, der gleich noch seine ganz eigene Rolle im Kontext des VAR erhält, wurden allein in der vergangenen Saison über 100 menschliche Fehlentscheidungen vom Videoassistenten des Vertrauens korrigiert. Laut ihm ist das Ganze ein einziges Erfolgsmodell, dass den Fußball gerechter macht. Doch kann man hier wirklich von einer Erfolgsgeschichte sprechen, wenn ein Thema derart polarisiert und die Fehlbarkeit dieser ganzen Technologie nachweislich weiterhin gegeben ist? Denn auch hinter einer mit 1000 Kameras beleuchteten Entscheidung sitzen Menschen, die subjektiv ihre Meinung an den Kollegen auf dem Platz weitergeben. Und wenn eines klar ist, dann das ein menschliches Individuum fehlbar ist und das ist auch gut so. Dennoch drängt sich auf Seiten des DFB die Frage auf, welche Eliteschiedsrichter setzen wir überhaupt ein und was qualifiziert welchen Kandidaten eigentlich?

Geheime VAR Liste und Kritik am Schiedsrichterchef

Der VAR hat mit so vielen Dingen innerhalb eines Fußballspiels und dessen Abläufen zu kämpfen, das er da um seiner Reputation Willen nicht auch noch Probleme von Außen gebrauchen kann. Und doch berichtete der Kicker vergangene Woche von einer Art geheimen VAR Liste, auf der vom Projektleiter des Videobeweises, Dr. Jochen Drees, Namen wie der von Topschiedsrichter Deniz Aytekin geblacklistet worden sein sollen. Soll heißen, dass dieser erst einmal nicht mehr für Einsätze im berüchtigten Kölner Keller eingeteilt werden kann. Insofern ärgerlich, als dass dem Projekt während den Spielen so zum einen wichtiges Know how abgeht, wenn Aytekin nicht auf dem Platz steht und persönlich, weil diesem so ein gewisses Zusatzhonorar flöten geht. Für Schiedsrichter, die ihrem Dasein als Unparteiischer allesamt nicht hauptberuflich nachgehen, ist ein möglicher Verdienstausfall von seit dieser Saison 2100 € pro Einsatz äußerst schmerzhaft. Zudem sind wird man gleichzeitig durch das abgehende Grundhonorar von 6000 € als eingeteilter VAR um eine nicht an Einsätze geknüpfte Fixsumme gebracht. Viel Ärger also um etwas, dass ganz einfach gelöst werden könnte, indem man die Thematik öffentlich klärt oder sie an Leistung bzw. Erfahrung misst. Wenn der Schiedsrichterchef selbst allerdings öffentlich die Existenz einer solchen Liste, egal physisch vorhanden oder nicht, leugnet, gibt er nicht nur selbst, sondern das ganze Projekt Videobeweis wieder einmal ein äußerst unglückliches Bild ab.

Mangelnde Qualität der Schiedsrichter durch VAR Eingriffe nicht zu kaschieren

Doch möglicherweise liegt das Hauptproblem nicht einmal beim VAR selbst, sondern bei den Schiedsrichtern bzw. deren Qualität und Entscheidungsfindung. Identifiziert man das als Wurzel vielen Übels, wird in vereinzelten Fällen immer wieder offensichtlich, dass entweder neu hochgezogene Schiedsrichter zunehmend Probleme mit der anspruchsvollen Spielleitung aufweisen oder gar arrivierte Unparteiische massive Kritik aufgrund ihrer Linie hinnehmen müssen. Man erinnere sich an Felix Zwayer, der nach dem Spitzenspiel Dortmund gegen Bayern im letzten Jahr nicht nur von Jude Bellingham öffentlich in Frage gestellt wurde, sondern im Anschluss sogar Morddrohungen erhielt. Das sich das überhaupt nicht gehört und dieser sich daraufhin eine richtige und wichtige Auszeit nahm, steht außer Frage. Ein weiterer Ansatz für die fehlende Qualität im Schiedsrichterwesen ist darin zu sehen, dass in den letzten Jahren immer wieder überragende Spielleiter aufgrund einer höchst fragwürdigen Altersgrenze in den Ruhestand verabschiedet wurden. Schaut man beispielsweise auf die Praktiken in England, wo Schiedsrichter auch weit über die 50 hinaus pfeifen dürfen, wenn sie ein gewisses körperliches Niveau nachweisen, sind sowohl die Statuten des DFB bezüglich der Altersregelung als auch deren stringente Umsetzung grundsätzlich in Frage zu stellen. Gegenbeispiele die beweisen, das man mit 47 Jahren definitiv noch in der Lage ist ein Bundesligaspiel nicht aus dem Rollstuhl leiten zu müssen, sind beispielsweise Manuel Gräfe, Florian Meyer oder Guido Winkmann. Vor allem Gräfe, der sich aktiv gegen seine Ausmusterung zur Wehr setzte, protestiert vehement gegen diese Praktik und zog zuletzt sogar vor Gericht.

Altersunabhängige Leistungsdiagnostik als Schlüssel

Das der DFB zuletzt in Person von Schiedsrichterchef Lutz Michael Fröhlich öffentlich Dr. Felix Brych eine Fortsetzung seiner Karriere über die Altersgrenze von 47 hinaus in Aussicht stellte, ist dabei mehr als unglücklich und dürfte die Erfolgsaussichten von Gräfe nicht gerade schmälern. Man könnte diesem ganzen Problem doch entgegenwirken, indem man die vor jeder Saison sowieso durchgeführte Leistungsdiagnostik doch einfach auch auf höhere Altersgruppen ausweitet. Diese Altersgrenze würde im Berufsleben nicht weniger als Diskriminierung am Arbeitsplatz darstellen und sollte auch für den Berufsstand der Schiedsrichter als unzulässig eingestuft werden. Geht man davon aus, das Personen wie Gräfe, Meyer und co. Interesse an einer Fortsetzung ihrer Karriere hätten und diesen Test bestehen, wäre auch gleich ein weiteres Problem gelöst, denn damit würde ebenso ein großer Qualitätsschub einhergehen, der auch in eine bessere Umsetzung des VAR miteingebracht werden könnte. Wie sagt man so schön: Man schlüge zwei Fliegen mit einer Klappe.

Ultraszene lehnt den Videobeweis ab – Traditionalisten kontra Innovation

Auch die aktive Fanszene lehnt den Videobeweis seit dessen Einführung immer wieder strikt ab. Das wird vor allem durch medienwirksame Plakate und Banner öffentlich kundgetan. Die eigens vom Verband erhobenen und transparent einzusehenden Daten sind dabei Wasser auf die Mühlen eines jeden Kritikers. Denn sie zeigen wie bereits im obigen Teil dieser Analyse erwähnt nicht nur schwarz auf weiß, wie viele Fehlentscheidungen exakt getroffen wurden, sondern auch in weit sich der Videobeweis als die „perfekte und innovative Unterstützung für Schiedsrichter und deren Assistenten“ selbstverschuldet fehlbar macht. Also stellt sich die berechtige Frage, in wieweit diese Applikation weiterhin Anspruch auf Fortbestand im Profifußball hat. Ist der VAR nach wie vor nicht ausgereift genug, was an sich nach 5 Jahren schon ein vernichtendes Urteil darstellen würde, oder gar in seiner ursprünglichen Anwendungsform gescheitert? Diese eine zentrale Frage ist es, auf deren Beantwortung es hinausläuft und man kann den vorangegangenen Textpassagen definitiv entnehmen, dass es einige Anhaltspunkte für eine Modifizierung oder gar eine Abschaffung gibt. Ob diese dann auch vom IFAB (International Football Association Board), der höchsten Instanz für Regeländerungen im Fußball, beschlossen wird, steht auf einem anderen Blatt. Hier soll es lediglich um die zugrundeliegenden Datenerhebungen sowie subjektive Eindrucke und Empfehlungen gehen.

Mehrheit der Fans spricht sich für die Abschaffung des Videobeweises aus

Bei einer im August im Auftrag des SID durchgeführten Umfrage sprachen sich 63,1 % der Teilnehmer für eine komplette Abschaffung des Videobeweises aus. Nur knapp ein Drittel (32,6 %) halten den Videobeweis weiterhin für essentiell (Quelle: Eurosport.de). Ein Kritikpunkt, der von vielen Fans immer wieder aufgegriffen wird, ist die mangelnde Transparenz der Entscheidungen, es fehlt vielen also an direkter Kommunikation (81,5 %). Hier lässt sich beispielsweise eine Brücke zum American Football schlagen, wo seit vielen Jahren Schiedsrichterentscheidungen konsequent über die Stadionlautsprecher vom Unparteiischen transparent erklärt und aufgearbeitet werden. Somit weiß sofort jeder, um was es geht und der Fan erhält umfassenden Einblick in die Sicht des Referees. Knapp 58% der Umfrageteilnehmer würden sich diesen Vorgang auch in der Bundesliga wünschen. Der Videobeweis in seiner aktuellen Form führt für Zweidrittel der Probanden jedenfalls nicht dazu, dass der Fußball auf Dauer gerechter wird, geschweigedenn für eine gesteigerte Attraktivität sorgt. Die ausgewerteten Daten lassen den Schluss zu, das die breite Masse massive Unzufriedenheit mit der ganzen Thematik verbindet. Der Ball liegt bei den Dachverbänden und kann, um sprachlich im Bilde zu bleiben, von einem großen Fanwiderstand nur per Steilvorlage geliefert werden.

Der VAR muss modifiziert oder gar abgeschafft werden

Bertachtet man alle vorher aufgeführten Punkte und bringt seine subjektive Meinung mit ein, kommt man in meinen Augen zu dem Schluss, dass der Videobeweis so definitiv nicht haltbar ist. Ich vertrete den eher konservativen Standpunkt, das der Fußball menschlich bleiben und nur durch gezielte technische Innovationen ergänzt werden sollte. Die Torlinientechnologie ist eine solche und findet aufgrund der klaren und transparenten Anwendung Akzeptanz bei der breiten Masse. Der Grund warum der VAR, vor allem in Deutschland, immer wieder so polarisiert, ist, dass es keine klare Linie gibt und den Entscheidungen häufig minutenlange Analysen vorausgehen, die oft einfach schlichtweg sind. Wozu braucht es eine zusätzliche Instanz, die einen Stürmer wegen einer Zehlänge des Abseits überführt? Früher gab es für derart knappe Entscheidungen zwei Worte: Gleiche. Höhe. Dennoch wird der Fußball den Videobeweis ohne Widerstand der Clubs und Spieler und ein gleichwertig verfügbares Ersatzprodukt, das das in den Augen der Verbände unerlässliche Gleichgewicht wahrt, nicht so schnell loswerden. So scheint es, als müssten wir uns alle weiterhin damit zufriedengeben, erst dann wirklich jubeln zu dürfen, wenn die Spieler wieder am Anstoßkreis stehen. Emotionen bleiben also ein Fremdwort. Unfehlbarkeit aber auch. Verrückte Fußballwelt.

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