Finale dahoam – https://creativecommons.org/licenses/by/4.0/deed.en Foto: Markus Unger
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Im Grunde schien alles angerichtet zu sein für den ersten Champions-League-Triumph des FC Bayern seit dem Jahr 2001. Das Finale Dahoam stand vor der Tür und die Euphorie beim deutschen Rekordmeister war grenzenlos. Doch statt einem Münchner Triumphzug wurde das Endspiel gegen den FC Chelsea an diesem 19. Mai 2012 zu einem generationellen Trauma, über das auch 12 Jahre später noch gesprochen werden sollte. Viel Spaß bei einer weiteren Folge 4Ballers Retro.
Dieser warme Frühsommerabend im Mai 2012, er hatte etwas besonderes an sich. Der Tag war gekommen, auf den eine ganze Stadt seit Monaten hinfieberte: Das Endspiel der UEFA Champions League. Die beiden Teilnehmer des diesjährigen Königsklassen-Endspiels waren im Jahr 2012 der FC Bayern München sowie der FC Chelsea. Die Besonderheit dieser Konstellation: Der deutsche Rekordmeister schickte sich an, im eigenen Stadion den ersten CL-Titel seit dem Jahr 2001 zu gewinnen. Die komplette Saison über schien das „Finale dahoam“ für den ganzen Verein wie eine Obsession.
Nach dem der FC Bayern im Elfmeterschießen gegen Real Madrid wenige Wochen zuvor ins Finale eingezogen war, kannten den Münchner Gazetten seitdem kaum noch ein anderes Thema. Jupp Heynckes und sein Team mussten dieses Endspiel einfach gewinnen, von dem Vereinspatriarch Uli Hoeneß bereits Monate zuvor gefordert hatte: „Da müssen wir dabei sein!“ Genauso unvergessen wie dieses legendäre Zitat des heute 72-Jährigen ist die Geschichte dieses Endspiels, das wohl als eines der sportlich brutalsten Ereignisse der Königsklassen-Historie in die Geschichte eingehen sollte.
Finale dahoam mit besonderen Vorzeichen
Wir beginnen ganz von vorne. Der FC Chelsea, unter Interimstrainer Roberto di Matteo durch eine Abwehrschlacht gegen Barcelona ins Finale von München eingezogen, plagte sich im Vorfeld des Spiels, genauso wie der FC Bayern, mit unzähligen Sperren und Verletzungsproblemen herum. Unter anderem der rotgesperrte Kapitän John Terry, Branislav Ivanović, Ramires als auch Raúl Meireles fehlten den Blues beim Unterfangen, den ersten CL-Titel der Geschichte zu erringen. Ein Schicksal, von dem auch der FC Bayern ein Lied singen konnte. Mit Holger Badstuber, David Alaba sowie Luiz Gustavo fehlten auch Jupp Heynckes drei wichtige Optionen.
Ein weiterer Grund dafür, warum dieses Final-Drama schon weit vor seinem Anpfiff als legendär gilt: Nach diesem Endspiel reformierte die UEFA sein Sperren-System grundlegend und sorgte dafür, dass nie wieder ein Akteur durch eine Gelbsperre ein Final verpassen sollte. Doch auch das half beiden Teams an diesem lauen Maiabend herzlich wenig. Was auf dem Platz folgen sollte, war nicht weniger als ein Drama in unzähligen Akten.
Bayern verzweifelt – Chelsea effizient
Der FC Bayern trat im eigenen Wohnzimmer mit dem klaren Auftrag an, gegen ein individuell deutlich unterlegenes Chelsea nach elf langen Jahren des Wartens endlich wieder zu triumphieren. Und genauso begann der deutsche Rekordmeister sein Unterfangen auch. In stürmischer Art und Weise drängte die Heynckes-Elf ihren Gegner ein ums andere Mal in die Defensive. Doch das Tor blieb wie vernagelt. Petr Čech, der sich später noch öfter als absoluter Albtraum der FCB-Offensive erweisen sollte, war für Müller, Robben und Co. einfach nicht zu überwinden. Weil der FC Chelsea auf der anderen Seite wenig Interesse an offensiver Eigeninitiative zeigte, ging es mit 0:0 in die Pause.
In Halbzeit zwei setzte sich dann alles genauso fort, wie es in Halbzeit eins geendet hatte. Ein leidenschaftlich attackierender FC Bayern stürmte wieder und wieder auf das Tor der Blues zu, doch der erlösende Treffer wollte einfach nicht gelingen. Zumindest bis Minute 83, denn dann geriet ein gesamtes Stadion in pure Ekstase. Nach einer Flanke von Toni Kroos kommt Thomas Müller zum Kopfball und setzt den Ball von der Unterkante der Latte ins Tor. Der kollektive Freudentaumel kannte nun endgültig kein Halten mehr. Alle waren sich sicher: Das muss es jetzt gewesen sein, dieses Chelsea ist erledigt. Doch das waren sie bekanntlich nicht.
Während sie in München bereits siegessicher dem Abpfiff entgegensteuerten, stürmten plötzlich die Blues an. Und auf eine Art und Weise, die bis heute jedem Zuschauer ein Rätsel ist, glich der FC Chelsea mit seiner einzigen Torchance in 93 Minuten nach einer Ecke durch Didier Drogba nur wenige Zeigerumdrehungen später aus. Wo sich eben noch alle in den Armen lagen, herrschte nun kollektive Schockstarre. Keiner wusste so recht, was hier gerade passiert. Ein zahnlos wirkendes Chelsea hatte es tatsächlich realisiert, sich doch noch irgendwie in die Verlängerung zu retten. Spätestens jetzt lag der psychologische Vorteil definitiv auf Seiten der Engländer.
Denn nur rund drei Minuten nach Anpfiff der Verlängerung folgte das nächste Drama: Foulelfmeter für den FC Bayern. Nachdem Didier Drogba Franck Ribéry im Strafraum ungestüm zu Fall brachte, ertönte der Pfiff: Elfmeter! Arjen Robben legte sich den Ball zurecht, trat an und vergab. Spätestens jetzt war klar: Das war alles, aber kein normales Spiel. Der FC Chelsea, von dem Momentum der letzten Minuten sichtlich beflügelt, agierte von nun an auf Augenhöhe mit dem deutschen Rekordmeister. Neben wenigen Halbchancen tat sich aber nicht mehr viel. Es ging ins Elfmeterschießen.
Finale dahoam wird zum Trauma
Und dieses Elfmeterschießen sollte einem der absurdesten Spielverläufe der Königsklassen-Geschichte endgültig die Krone aufsetzen. Während Phillip Lahm und Mario Gomez ihre Elfmeter noch souverän verwandelten, vergab mit Juan Mata der erste Schütze der Blues. Erneut schien alles auf einen Münchner Triumph hinauszulaufen. Eine Annahme, die sich ein weiteres Mal als Trugschluss erwies. Denn nachdem die nächsten drei Schützen alle verwandelten, vergab der eingewechselte Ivica Olić seinen Strafstoß.
Für Chelsea, dass durch Ashley Cole auf Gleichstand stellte, sollte es noch besser kommen. Denn Bastian Schweinsteiger vergab seinen Elfmeter ebenfalls. Binnen weniger Minuten hatte sich das Momentum erneut komplett gedreht. Als letzter Schütze war Vereinslegende Drogba an der Reihe, der nur noch treffen musste, um seinen FC Chelsea in den siebten Himmel zu schicken. Ein kurzer Anlauf, ein schneller Blick: Manuel Neuer war verladen und der Mann von der Elfenbeinküste schob locker unten ein. Die Blues waren Champions League Sieger 2012 und der FC Bayern im Tal der Tränen angekommen.
Eine Niederlage und ihre Auswirkungen
Auch Jahre später gingen die Bilder von einem völlig aufgelösten Bastian Schweinsteiger noch um die Welt. Sein Gesicht im Trikot vergaben, am Boden kauernd vor Scham. Wo der spätere Weltmeister von 2014 gegen Real Madrid wenige Wochen zuvor noch als Held gefeiert wurde, versagten ihm nun die Nerven. Für die Fans des FC Bayern ist dieses Ereignis bis heute wohl das schmerzhafteste Erlebnis ihres Lebens, das Drama bis heute noch nicht ganz erfasst.
Rund ein Jahr später sollten die Verantwortlichen diesen 19. Mai als Wegbreiter für eine der erfolgreichsten Epochen der Vereinsgeschichte beschreiben. Denn als man im Jahr 2013 gegen Borussia Dortmund erneut das Endspiel in Wembley bestritt, sorgte ausgerechnet Arjen Robben für das erlösende 2:1, das dem deutschen Rekordmeister zum Triplegewinn verhalf. Rund ein Jahr später waren Heynckes und Co. doch noch auf dem Fußballolymp angekommen.