Ist das Kommerz oder kann das weg?

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Immer wieder entbrennen in der Bundesliga Grundsatzdebatten, wenn es um die fortschreitende Kommerzialisierung oder die Beteiligung von Investoren an diversen Profivereinen geht. Die Traditionalisten bzw. Anhänger solcher Clubs halten ihre Definition und den daraus folgenden Widerstand per se recht simpel, dabei sind Grenzen und Vorgaben seitens der DFL in sich oft ein einziges Paradoxon. Theoretisch sind die Statuten mit der 50+1 Regel klar definiert und doch werden Ausnahmen gemacht, die in Fußballdeutschland zuweilen das blanke Unverständnis hervorrufen. Vor allem deshalb, weil in diesem Zuge immer wieder einige Fragen offen bleiben: Was ist mit Vereinen wie Leverkusen oder Wolfsburg? Was genau besagt die in den Statuten festgelegte Förderausnahme? Wie viel Kommerz darf ein Traditionsverein an sich zulassen und warum verschließen wir uns oft so vehement dagegen? Das und vieles mehr behandeln wir heute, wenn wir dem öffentlichen Streitthema der Kommerzialisierung auf den Grund gehen und zudem auf die Zukunfstauglichkeit dieser Lösungen schauen, bevor wir abschließend eine eigene, kritische Einschätzung der Dinge vornehmen.

Traditionalisten contra Kommerz

Bevor wir uns tiefer in die Marterie begeben, gehen wir doch einmal kurz auf den Ist-Zustand sowie die aktuellen Thematiken rund um die Diskussionen bezüglich Investoren ein. Die Bundesliga galt bisher aufgrund ihrer Beschränkungen, basierend auf der 50+1 Regel, als letzte Bastion gegen die Belagerung von externen Kapitalgebern und deren Mehrheitsbeteiligungen an Vereinen in der Bundesrepublik. Kurz zur Einordnung: Genannte Statuten in der Satzung des DFB sollen verhindern, dass Großunternehmen bzw. jegliche Kapitalgeber die vollumfängliche Kontrolle über das operative Geschäft eines Vereins übernehmen können. Heißt also im Umkehrschluss: Mehrheitsbeteiligungen solcher Investoren, wie bspw. in der Premier League in großem Maße praktiziert, sind hierzulande grundsätzlich verboten. Doch denkt man die ganze Thematik mit Blick auf die Bundesliga weiter, werden dem ein oder anderen jetzt sicher Fragen zu Vereinen wie Leipzig, Leverkusen oder Wolfsburg in den Sinn kommen. Berechtigterweise, so machen genannte Clubs, die sich aufgrund der Beteiligung von Konzernen wie Bayer oder VW mithilfe der sogenannten Förderausnahme diesem Passus entziehen können, nämlich von einer Ausnahme gebrauch. Doch wie ist das möglich? Analog zur 50+1 Regelung besagt erwähnter Sonderfall, dass beschriebene Mehrheitsbeteiligungen von Unternehmen aufgrund der jahrzehntelangen Zusammenarbeit mit einem Verein (z.B. Bayer/Leverkusen oder Wolfsburg/VW) sowie der sozialen Werthaltigkeit keinen Widerspruch in sich darstellen. Und genau hier setzt die öffentliche Kritik an, die auch bereits durch das Bundeskartellamt in einem eigenen Prüfverfahren aufgegriffen wurde. Denn diese Ausnahmeregelung konterkariert nicht nur laut Meinung der zuständigen Behörde die von Verbandsseite angestrebte „Wettbewerbsgleichheit“, die von der DFL mit der ursprünglichen Regelung geschützt werden sollte. Haben diese Konstrukte also überhaupt eine Daseinsberechtigung?

„Kommerzprodukte“ als öffentliche Feindbilder

Wurden zuvor Beispiele wie Leverkusen oder Wolfsburg angeführt, werden in der Moderne immer wieder Vereine wie Leipzig oder Hoffenheim öffentlich für ihre Strukturen angefeindet. Verantwortlich dafür sind besonders die transparenten Vorgänge rund um das künstliche „Hochzüchten“ eines Vereins, wie beispielsweise durch die Kombination Red Bull/Leipzig, um gleichzeitig die eigene Markenidentität zu fördern. In diesem Zuge fällt auch immer wieder der Begriff des „Sportswashing“, der wie bereits im vorherigen Satz aufgegriffen das Aufpolieren des eigenen Firmenimage unter Zuhilfenahme von Sportveranstaltungen/Sportvereinen beschreibt. Bleibt man bei modernen Feindbildern, wird vielen beispielsweise der Vorfall im Spiel der TSG Hoffenheim gegen den FC Bayern im März 2020 noch bestens im Gedächtnis sein, als Ultras der „Schickeria München“ Vereinsmäzen Dietmar Hopp öffentlich mit Schmähplakaten verunglimpften. Zu behaupten, dieser Protest wäre bahnbrechend gewesen, ist allein aufgrund seiner Geschmacklosigkeit übertrieben und doch hat sich in Sinsheim seitdem einiges verändert: Die TSG Hoffenheim, seit Jahren in Form ihres Besitzers aufgrund der zuvor beschriebenen Beweggründe ein Feinbild der traditionellen Fankultur, gab ihren Sonderstatus vor einigen Wochen unter vielen öffentlichen Nebengeräuschen zurück. Was Konstrukten wie eben Hoffenheim oder Rasenballsport Leipzig (eigentlich Red Bull; Sponsoren in Vereinsnamen sind aber laut Verbandsstatuten ebenfalls untersagt, einzig Bayer Leverkusen darf aufgrund des Hervorgehens aus der Betriebssportgruppe des Unternehmens unter diesem Namen spielen) öffentlich zur Last gelegt wird, ist neben der Beteiligung von Sponsoren in großem Stil, die Missachtung der Fußballkultur.

Vereine tragen Mitschuld an praktizierter Hetzjagd

Die Meinung von federführenden Ultras, die sich für den Großteil der öffentlichen Kritik verantwortlich zeichnen, und anderen Gegnern dieser Praktiken erhält auch von Seiten der Vereine Wasser auf ihre Mühlen. Beispiel gefällig? So veranstaltet beispielsweise Borussia Dortmund jedes Jahr einen Traditionsspieltag, an dem die Anzeigetafel in konventionellem Stil aufbereitet wird und Anhänger Retro-Merchandise käuflich im Fanshop erwerben können. Gegner dabei ist nicht etwa der FC Köln oder Werder Bremen, sondern das vielerorts verhasste RB Leipzig. Mehr kann ein Verein die Hetzjagd der eigenen Anhänger nicht unterstützen, was grundsätzlich äußerst kritisch zu sehen ist. Obwohl Leipzig offiziell nicht von erläuterter Förderausnahme gebrauch macht, sondern die Regel geschickt umgeht (Hauptsponsor Red Bull hält 99% an der Lizensspielerabteilung, die Stimmenmehrheit verbleibt offiziell aber beim Rasenballsport Leipzig e.V.) ist der im öffentlichen Volksmund oft als „Brauseklub“ titulierte Verein durch seinen nationalen Erfolg ebenso zum Hassobjekt bei den Führungskräften anderer Vereine verkommen. Das aktuellste Beispiel im Vorfeld des DFB-Pokal Finals zwischen RB und Eintracht Frankfurt liefert erneut Argumente für eine öffentlichkeitswirksame Kampagne, bei der im Rahmen des Endspiels im Berliner Olympiastadion per Pressemitteilung auf gemeinsame Fanschals verzichtet wird. Zwar sprach Vorstandssprecher Axel Hellmann davon, „den Kampf der Systeme nicht öffentlichkeitswirksam austragen zu wollen“ und doch bleibt selbige Außenwirkung bestehen. Neben den Vereinen tragen selbstredend auch die gehässige Berichterstattung bekannter Sportmedien zur derartiger Abneigung bei, wenn Spiele zwischen solchen Kontrahenten „El Plastico“ getauft werden

Wie „sauber“ sind Traditionsvereine?

Entgegen aller Kritik, lässt sich auch bei börsennotierten Vereinen wie dem BVB die Frage aufwerfen, wie viel Kommerz in den Strukturen der traditionsbewussten Chefankläger steckt. Muss man als Verein in der heutigen Zeit nicht in gewisser Weise derartige Mechanismen akzeptieren und Anteile veräußern, um sportlich konkurrenzfähig zu bleiben? Die Schwarz-Gelben, die sich historisch nur aufgrund fremder Kapitalgeber (FC Bayern!) vor dem Konkurs retten konnten und zudem den Schritt gingen, als erster deutscher Profiverein Vereinsanteile an der Börse zu veräußern, könnte man in dieser Hinsicht also definitiv eine gewisse Doppelmoral unterstellen. Zwar unterscheidet sich der BVB in seiner Historie und seinem natürlichen Wachstum grundsätzlich ohne Frage von angeprangerten Feindbildern und doch praktiziert er selbst die Abgabe von Einfluss gegen frisches Kapital. Würde man hier tiefer in die Analyse einsteigen und die Strukturen eines jeden Bundesligavereins unter die Lupe nehmen, würde man zweifelsohne nicht zuletzt aufgrund des enormen Konkurrenzdrucks einige Parallelen erkennen, die so auch in Leipzig oder Hoffenheim praktiziert werden. Allerdings würde dass hier in jedem Fall den Rahmen sprengen. Der fehlenden Spezifizität halber verbleiben wir mit einer gewissen Fragwürdigkeit und verweisen auf die gängigen Mechanismen des Fußballgeschäfts, die ohnehin immer komplizierter und monetärer zu werden scheinen. So auch künftig auf Verbandsebene?

Bundesliga auf Investorensuche

Trotz ihrer theoretisch rigorosen Haltung und der mehrheitlichen Überzeugung bezüglich derartigen Einschnitten in die Club- und damit auch Verbandskultur, sucht die DFL per Ausschreibung seit neuestem unter dem Deckmantel der „AG Zukunftszenarien“ nach Investoren, die den Fortbestand der Konkurrenzfähigkeit gegenüber Premier League und Co. gewährleisten sollen. Die DFL, als vom DFB gegründete Tochtergesellschaft, anders als der gemeinnützige Dachverband dazu befähigt, durch strategische Partnerschaften Einnahmen in Milliardenhöhe zu generieren, bricht so mit der Tradition, die Bundesliga (bspw. Veräußerung von Namensrechten) frei von Investoren zu halten. Ein Argument, das erneut die Vielzahl an Gegnern der fortschreitenden Kommerzialisierung auf den Plan ruft. Im Zuge der öffentlich von der Deutschen Fußball Liga lancierten Sponsorensuche, kamen während einer äußerst sehenswerten ZDF Doku neue Details ans Licht, die allein aufgrund des neuen Einflussbereiches der möglichen Kapitalgeber bundesweite Besorgnis hervorrufen. Befragte Experten bemühen in diesem Zusammenhang immer wieder das Bild vom trojanischen Pferd durch Investorenbeteiligungen, die analog zu anderen Ligen nicht nur in angepassten Anstoßzeiten münden könnten, sondern auch in Spielverlegungen in fremde Länder. Selbige Sorge um mögliche Einflussbereiche lässt sich in einer kürzlich veröffentlichten Kicker-Umfrage abbilden, in der sich die eindeutige Mehrheit der Fans aus 1. und 2. Bundesliga gegen eine solche Investorenbeteiligung aussprach. Auch wenn derartige Auswirkungen von Verbandsseite vehement dementiert werden, sollte uns bewusst sein, dass auch der umstrittene VAR (Video Assistant Referee) lange keine Option darstellte. Prozesse sind dynamisch und können schnell eine ungeahnte Auswirkung entfachen.

Für natürliches Wachstum, gegen künstliche Prozesse

Ebenso wie das Streitthema VAR stellen sich die Prozesse und die teils berechtigen Kritiken wie das meiste im Leben als äußerst vielschichtig heraus. In Deutschland herrscht die meines Erachtens nach extrem romantische Vorstellung, dass sich der Fußball hierzulande allein durch die gerne im Anime-Genre praktizierte „Power of Friendship“ refinanzieren kann und ein „Weiter So“ glorifiziert, während man international von der Premier League oder den spanischen Kollegen Stück für Stück abgehängt wird. Das ist utopisch und sollte zudem nicht vergessen machen, dass die DFL durch hochvoluminöse TV-Verträge in Milliardenhöhe bereits Schritte unternahm, um weiterhin konkurrenzfähig bleiben zu können. Die Hinzunahme eines Sponsors ist da nur der nächste logische Schritt. Vielleicht sogar ein längst überfälliger. Schafft man es, den Einflussbereich eines externen Kapitalgebers einzudämmen, spricht gegen genanntes Vorhaben eigentlich recht wenig, auch wenn die Traditionalisten dass wieder anders sehen werden. Im Grunde so wie eigentlich alles. In eigener Sache kann ich hier nur auf meine zum Thema Kommerzialisierung im Fußball verfasste Bachelorarbeit verweisen, die im folgenden angehängt wird. Ebenso darin Thema sind Progression und Entwicklung von Vereinen wie beispielsweise RB Leipzig und deren Strukturen, auf die im Umfang einer wissenschaftlichen Arbeit natürlich noch einmal deutlich detaillierter eingegangen werden kann. Abschließend lässt sich sagen, dass auch ich, trotz fehlender Zugehörigkeit zu Ultragruppierungen jeglicher Art gegen künstliche Investorenkonstrukte bin, diese aber als notwendiges Übel betrachte. Allerdings und das ist gleichzeitig wichtig zu betonen, deren Einflussbereich nur dadurch einzudämmen ist, gewisse Grundsätze beizubehalten und so den Fortbestand der Fußballkultur zu gewährleisten. Nein zu Verunglimpfungen und Doppelmoral, ja zu organischem Wachstum und dem Fortbestand der Fankukltur!

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