Das Ausmaß der Erfolglosigkeit bei Union Berlin wird immer dramatischer. Nach einer handfesten sportlichen Krise mit zwischenzeitlich 12 Pflichtspielniederlagen in Serie ist das Team aus Köpenick nun auch tabellarisch ganz unten angekommen. Im Grunde erlebt man so nun erstmals seit dem Bundesligaaufstieg 2019 eine längere Phase des Misserfolgs. Dieser zieht mittlerweile sogar so weite Kreise, dass Erfolgstrainer Urs Fischer von den Medien öffentlich in Frage gestellt wird. Was also geschieht mit Kultclub Union? Eine kommentierende Analyse zur Lage in Berlin Köpenick.
Steiler Aufstieg
Bundesligaaufstieg 2019, Klassenerhalt 2020, Conference League Quali 2021, Europa League Quali 2022, Champions League Quali 2023. Der aufmerksame Leser begreift schnell: Bei Union ging es im Grunde seit dem Aufstieg vor 4 Jahren nur in eine Richtung: Steil bergauf. Die Bilanz der letzten vier Jahre liest sich im Grunde wie eine kitschige Erfolgsgeschichte, die sogar im FIFA Karrieremodus unrealistisch daherkäme. Mit den charismatischen Köpfen des Erfolgs um Präsident Dirk Zingler, Sportdirektor Oliver Ruhnert sowie Trainer Urs Fischer ging man unbeirrt seinen Weg und konnte so stets Raum für Verbesserungen schaffen. Union galt als Musterbeispiel für harte Arbeit und die oftmals so plakativ verwendete Malochermentalität, die andernorts zwar ersehnt, aber nicht gelebt wird. Nicht zuletzt deshalb fragte sich der geneigte Beobachter im Vorfeld der Saison erneut, wo das Limit dieser eisernen „Wundermaschinerie“ liegt und noch viel wichtiger: Wann kommt der Einbruch?
From Hero to Zero
Die Mittel Union Berlins und der daraus resultierende sportliche Ertrag sind trotz potenter Geldgeber im Hintergrund als extrem bewundernswert einzustufen. Dass nach vier Jahren des märchenhaften Höhenflugs auch einmal eine längere Phase des sportlichen Misserfolgs eintreten würde, überrascht besonders an diesem bodenständigen Bundesligastandort wohl keinen. In welchem Ausmaß das nun allerdings einen Kader trifft, der vor der Saison auf Champions League Niveau zusammengestellt und finanziert wurde, überrascht dann allerdings doch. Urs Fischer und sein Team wirken nach zwei Siegen zum Saisonstart (Mainz & Darmstadt) zunehmend ideenlos und spielerisch erschreckend eindimensional. Nach wettbewerbsübergreifend 14 Pflichtspielen ohne Sieg ist Union nun auch tabellarisch am absoluten Tiefpunkt angekommen: Platz 18 in der Bundesliga, das frühe Pokalaus in Runde 2 sowie der letzte Platz in seiner Champions League Gruppe sprechen eine deutliche Sprache. Doch wie ist das mit diesem Kader überhaupt möglich?
Hat Union seine Identität verkauft?
Genau dort liegt eigentlich das große Paradoxon in der Gesamtbetrachtung: Der Kader ist größer, besser und leistungsstärker als jemals zuvor und doch wirkt diese Truppe einfach nicht richtig ausbalanciert. Immer wieder kommt aus Vereins- und Expertenkreisen der Vorwurf auf, Union hätte sportlich seine Identität verkauft. Mag dieser Ansatz zunächst überzogen wirken, ist er bei näherer Betrachtung der Sachlage gar nicht unbedingt weit hergeholt. Europameister Bonucci, Nationalspieler Gosens oder Ex-Leverkusener Volland mögen ohne Zweifel klangvolle Namen sein, doch geht es bei derartigen Überlegungen neben der sportlichen Qualität auch immer um die Kompatibilität innerhalb eines Teamgefüges. Erstgenannter sorgte aufgrund eines Bankplatzes offenbar innerhalb der Mannschaft schnell für Spannungen und auch Chelsea-Leihgabe Fofana leistete sich gegenüber seinem Coach beim verweigerten Abklatschen eine Disziplinlosigkeit, die folglich eine einwöchige Suspendierung zur Folge hatte. Alles in allem kommt bei Union aktuell einfach zu viel zusammen und lässt vor allem mit Blick auf das sportliche Gesamtbild die Frage nach der Schlüsselpersonalie im Epizentrum der Krise immer weiter in den Vordergrund rücken: Trainer Urs Fischer.
Wird Fischer entlassen?
Inwiefern ist also der charismatische Erfolgscoach und Mitbegründer der Erfolgsgeschichte Union zur Verantwortung zu ziehen? Es verschärft sich aufgrund der zwischenmenschlichen Probleme sowie der fehlenden Spielidee zunehmend der Eindruck, Fischer könnte mittlerweile mehr das Problem denn Teil der Lösung sein. Statistisch ist die sportliche Bilanz der Eisernen die eines Absteigers. Nicht zuletzt wegen der geringen Punkteausbeute kamen in die vergangenen Tagen immer wieder Vergleiche zu Vorjahresabsteiger Schalke 04 auf, der zum gleichem Saisonzeitpunkt vergangenes Jahr ebenso wenige Punkte aufwies. Erschreckend real wirkt also plötzlich das Szenario eines Abstiegs und rückt Fischer immer mehr ins Rampenlicht, wenn es um mögliche Veränderungen geht. Zingler und Ruhnert hielten bisher demonstrativ zu ihrem Trainer, werden aber allein aufgrund seiner Verdienste nicht mehr ewig am in Fankreisen beliebten Schweizer festhalten können. Weder die taktischen Ansätze noch sonstige Faktoren wie ein gewisses Aufbäumen seines Teams sprechen für den 57-Jährigen und eine langfristig gerechtfertigte Jobgarantie.
Was nun?
Der bisherige Weg Unions, frei nach dem Motto „Es geht nur gemeinsam“, ist löblich und zeigt erneut das Gemeinschaftsgefühl, was dieser besondere Verein sich über Jahre hinweg kultiviert hat. Dennoch wird auch Verantwortlichen wie Fans inzwischen klar sein, dass schnellstens etwas passieren muss, wenn man diese phänomenale Erfolgsgeschichte nicht rückwärts erzählen möchte. Heißt im Klartext: Entweder Urs Fischer und sein Team, das mindestens genauso in der Verantwortung steht, präsentieren schnellstmöglich Ergebnisse sowie eine veränderte Körpersprache, oder aber man muss sich in naher Zukunft erneut auf die Suche nach einem Architekten begeben, der dieses Eiserne Gebilde in eine erfolgreiche Zukunft führt. Klar ist: Die Mechanismen des Profifußballs machen eben auch auf lange Sicht vor dem romantischen Fleckchen Erde in Köpenick nicht halt. Union wäre es dennoch in jedem Fall zu wünschen, dass es den Erfolg in dieser Konstellation zurückbringen kann.