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Bereits seit Beginn der Saisonvorbereitung wird Bayer Leverkusen aufgrund der unfassbar guten Arbeit auf diversen Ebenen im Club von den Medien quasi mit Lob überschüttet. Egal ob es die Transfers von Sportvorstand Simon Rolfes, die detailversessene Arbeit von Xabi Alonso oder die neugewonnene Siegermentalität der Mannschaft sind, in diesem Club entsteht etwas Großes. Nach zwei Siegen aus zwei Pflichtspielen lässt sich auch taktisch inklusive einer ersten kompletten Vorbereitung unter dem spanischen Chefcoach mittlerweile so einiges erkennen. Wir wollen anlässlich dessen heute auf den taktischen Ansatz des Teams blicken und analysieren, warum Bayer bereits von Spieltag 1 an auf nahezu allen Ebenen meisterlich performt.
Meisterliches Gegenpressing
War der Auftritt im Pokal gegen Teutonia 05 nicht nur aufgrund des Endergebnisses von 0:8 natürlich noch kein richtiger Gradmesser, konnte man eine Woche später beim Ligaauftakt gegen RB Leipzig schon so einiges von Alonsos Plan bezüglich Intensität und Laufleistung erkennen. So liefen die Leverkusener ihren Gegner im aggressiven Vorpressing teilweise im umgekehrten Zwei gegen Eins (Literaturempfehlung) bereits am gegnerischen Strafraum an und provozierten so durch das frühe Zustellen Ballverluste bzw. lange Bälle der Hintermannschaft, die dafür sorgten, schnell wieder mit dem eigenen, kontrollierten Aufbau beginnen zu können. Eine Schlüsselrolle in diesen Situationen nahmen dabei vor allem die hochstehenden Außenbahnspieler Grimaldo und Frimpong ein, die immer wieder zur Unterstützung der ersten Pressinglinie situativ in die Mitte rückten, um die Leipziger früh unter Druck zu setzen. Das Pressing der Leverkusener Mannschaft erinnerte zeitweise an die unglaublich intensive Spielweise Ajax Amsterdams unter Erik ten Hag.
Variabilität als Trumpf
Dass Alonso variabel agieren lässt und immer wieder zwischen 3er und 4er Kette wechselt, kommt nicht von ungefähr, sondern unterstreicht die Flexibilität dieser Mannschaft. Besonders im offensiven Positionsspiel mit den technisch extrem versierten Hofmann und Wirtz, die immer wieder durch Positionsrochaden auffallen, ist Bayer mit seinen Freigeistern und der umliegenden Unterstützung durch die Schienenspieler extrem schwer zu greifen. Nicht zuletzt deshalb, da sie zusätzlich zu ihren Fähigkeiten am Ball auch noch ein enormes Tempo mitbringen, das ihnen besonders eine Vielzahl von aggressiven Tiefenläufen ermöglicht. Zusätzlich dazu besitzt Bayer seit einigen Wochen mit Neuzugang Victor Boniface auch noch einen robusten Torjäger in seinen Reihen, der als Zielspieler für „unkoventielle“ Stilmittel wie Flanken fungiert. Den 22-Jährigen allerdings nur auf seine Physis und Größe zu reduzieren, würde ihm aber keinesfalls gerecht werden. So besticht er wie so ziemlich jedes Kadermitglied Alonsos ebenso durch seine Spielintelligenz und ein gutes Verständnis für Raum und Ball, was auch seine überragende Übersicht samt Torvorlage zum 1:0 durch Jeremie Frimpong unter Beweis stellt.
Mentalität schließt Spielintelligenz nicht aus
Bleiben wir beim Punkt Spielintelligenz, lässt sich immer mehr ein klares Bild davon zeichnen, welch unglaubliche Balance der gesamte Kader in sich aufweist, die sich auch im Mittelfeld weiter manifestiert. Mit Ezequiel Palacios und „Aggressive Leader“ Granit Xhaka besitzt das Team im Mittelfeld komplettiert durch Robert Andrich sowie Gustavo Puerta eine extrem zweikampfstarke Doppelsechs/Doppelacht, die zuzüglich ihrer Leaderqualitäten vor allem durch Umsichtigkeit sowie eine smarte Interpretation ihrer Rolle besticht. Vor allem Ex-Gladbacher Xhaka, vor der Saison für rund 15 Millionen Euro vom FC Arsenal gekommen, zeigt auf, dass ein Anführer nicht zwangsläufig nur über die mentale Komponente kommen muss, sondern durchaus auch bei anspruchsvollen Situationen wie Spielverlagerungen oder Kommandos zum Auslösen des Gegenpressings ein extrem wichtiger Taktgeber sein kann. Konträr zum negativen Gegenbeispiel Emre Can von Borussia Dortmund, der von Edin Terzić als alleiniger Sechser eingesetzt teilweise haarsträubende Fehler wie das Zulaufen eigener Passwege in sein Spiel mit einstreut, wirkt Xhaka stets sicher und im Kopf spielerisch immer einen Schritt voraus.
Defensive Stabilität verbesserungswürdig
Das einzige Manko, das Alonsos Team vor allem in der zweiten Hälfte gegen RB Leipzig offenbarte, waren eklatante Schwächen in der defensiven Absicherung sowie der Gegnerzuteilung. Vor allem beim 2:3 durch Loïs Openda sowie anschließenden Chancen durch Olmo und eben jenen Openda konnte Leverkusen aufgrund der eigenen Effizienz und einer Menge Dusel am Ende von Glück reden, dass die drei Punkte in der heimischen BayArena blieben. Besonders die extrem offensive Ausrichtung der Schienenspieler Frimpong und Grimaldo macht Leverkusen anfällig für Pässe in die Schnittstelle. Auch Kossounou und Nebenmann Tapsoba ließen Freigeist Olmo sowie Xavi Simons ein ums andere Mal viel zu leicht gewähren. Die Schwächen bei eigenen Standards, die unter anderem zum Anschlusstreffer RBs führten, werden an dieser Stelle nicht berücksichtigt. Im Falle der Defensive geht es viel um Abläufe und auch die individuellen Stärken des Gegners, weshalb durchaus anzunehmen ist, dass Leverkusen diese Problematik in den kommenden Wochen und Monaten weiter verbessern wird. Die nächste Chance dazu bietet sich am kommenden Wochenende im Topspiel gegen Borussia Mönchengladbach (Samstag, 18:30 Uhr).