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Der FC Bayern kommt in diesen Tagen einfach nicht zur Ruhe. Erst die Entlassung von Trainer Julian Nagelsmann, folglich die Installierung seines Nachfolgers Thomas Tuchel, dann das Pokalaus gegen Freiburg, das Ausscheiden gegen ein in beiden Spielen deutlich überlegenes Manchester City in der Champions League, die Posse um den Faustschlag von Sadio Mané sowie die Personaldiskussionen auf höchster Ebene. Der FC Hollywood scheint endgültig zurück und das aus gutem Grund: Lange gab es im Verein nicht mehr so einen erheblichen Dissens zwischen sportlichen Ambitionen und der harten Realität, was nicht zuletzt sinnbildlich für die Unstimmigkeiten innerhalb der Mannschaft als auch auf Führungsebene steht. Die folgende Analyse befasst sich mit den Auswirkungen der Bayern Misere, erklärt, warum das Problem im Verein ein hausgemachtes ist, welche personellen Konsequenzen sich daraus auf verschiedenen Ebenen ergeben und wie der Club aus eigener Kraft wieder nach vorne kommen kann.
Besorgniserregender Ist-Zustand
Wenn man in der aktuellen Zeit als Außenstehender auf die vielen Baustellen innerhalb des Vereins blickt, weiß man gar nicht so recht, wo man zuerst ansetzen soll. Betrachtet man den Ist-Zustand sowie die nackten Zahlen, ist dieser Trend mehr als nur besorgniserregend. In beiden Pokalwettbewerben sind die Bayern nach dem Ausscheiden gegen Manchester City am Mittwoch bereits raus und in der Liga, die über Jahre hinweg mit schier unglaublichem Vorsprung dominiert wurde, beträgt der Abstand auf die Konkurrenz vor dem Gastspiel in Mainz (Samstag, 15:30 Uhr) in der Tabelle nur noch mickrige zwei Pünktchen. Sinnbildlich für das Einbüßen der sportlichen Vormachtstellung steht, dass sich der FCB nur noch aufgrund des gleichzeitigen BVB Patzers am vergangenen Samstag an der Tabellenspitze halten konnte. Das war mal anders und hat besonders in den letzten Wochen viel mit hausgemachter Unruhe im Verein zu tun: Überstürzte Trainerentlassungen, Disziplinlosigkeiten, eine verfehlte Kaderpolitik… Man könnte diese Liste sicher noch um ein Dutzend Punkte ergänzen. Fakt ist und das ist bei so einem Vorzeigeverein, wie es der FC Bayern in den letzten Jahren nun einmal ohne Frage war, eine mehr als nur alarmierende Entwicklung. Derzeit kommt, von Außen wie von Innen, so viel Unruhe in den Verein, dass die sportlichen Misserfolge nahezu vorprogrammiert scheinen.
Fragwürdige Personalentscheidungen auf allen Ebenen
Befassen wir uns zunächst mit dem rein sportlichen, kommt man schnell beim vor wenigen Wochen geschassten Coach Julian Nagelsmann an, der die wohl kontroverseste Trainerentlassung der jüngeren Bundesligageschichte zu erleiden hatte. Mit komplett intakten Titelchancen in allen drei Wettbewerben entschieden sich die wankelmütigen Vereinsbosse Ende März, den 35-Jährigen mit sofortiger Wirkung von all seinen Aufgaben zu entbinden. Und nun, ungefähr dreieinhalb Wochen später ist man in zwei Wettbewerben bereits ausgeschieden. Besonders im Spitzenduell der Champions League gegen Manchester City lief man der Musik dabei gnadenlos hinterher. Fragwürdige personelle Entwicklungen und damit einhergehende Unruhe sowie selbstverschuldeter Misserfolg beschreiben so sinnbildlich das Sägen an der eigenen Unerschütterlichkeit, auf die man als familiärer Verein in einem zunehmend kommerzialisierten Fußballkosmos immer so stolz sein konnte. Im Verein galt unter Granden wie Hoeneß, Rummenigge oder Beckenbauer stets das Credo: „Wo wir herkommen, klärt man Dinge nur von Angesicht zu Angesicht.“ Doch dieser Leitsatz scheint sich mehr und mehr zu verlieren und überträgt sich dadurch auch auf das Team, dessen sportlichem Erfolg eigentlich alles untergeordnet werden müsste. Nicht zuletzt und vor allem für die Mannschaft, die während diesen turbulenten und fragwürdigen Entscheidungen von Kahn, Salihamidžić und Co. an vorderster Front steht, gilt: Du musst auch hart sein, wenn der Beat nicht mehr läuft. Dass es wie eingangs erwähnt auch innerhalb des Teams nicht mehr läuft, dazu gleich mehr. Doch zuerst wollen wir uns, wie bereits angedeutet, den Entscheidungsträgern widmen, die hauptverantwortlich für diese Identitätskrise stehen.
Kahn und Salihamidžić sind nicht mehr tragbar
Angesprochene Misere, die sich längst nicht mehr nur über den sportlichen Bereich, sondern auch andere Sparten, wie die von den Fans angeprangerte Vereinsidentität erstreckt, liegen im Verantwortungsbereich der sportlichen Führung. Und eben jene Gesichter dieses Misserfolgs sind ohne wenn und aber Vorstandsvorsitzender Oliver Kahn sowie Hoeneß Zögling Hasan Salihamidžić. Während Letzterer sich quasi seit seinem Amtsantritt durchgängig kritischen Fragen stellen muss und immer wieder ins Kreuzfeuer der öffentlichen Kritik gerät, fällt das Scheinwerferlicht nun auch immer mehr auf den starken Mann im Verein: Oliver Kahn, seit bald drei Jahren Hauptverantwortlicher CEO des Vereins, schaffte es als Nachfolger von Vereinsikone Karl-Heinz Rummenigge nicht, die nötige Stabilität zu gewährleisten und die sportliche Entwicklung im Verein konsequent voranzutreiben. Zudem verantwortet er ebenso viele Entscheidungen auf Transferebene hauptverantwortlich mit, die öffentlich aufgrund der klaren Hierarchien oftmals ausschließlich dem Team von Salihamidžić zugeschrieben wird. Doch zur Wahrheit gehört auch, dass der 46-Jährige Bosnier und sein Team rund um den technischen Direktor Marco Neppe potentielle Neuzugänge sowie die nötigen Summen vorschlagen, doch die Vereinsoberen entscheiden ab einem gewissen finanziellen Rahmen mit ihrem „Go“ darüber, ob diesen Investitionen auch stattgegeben wird. Kahn ist der Kopf dieses Gremiums und auch deshalb tauchen nun immer mehr Berichte auf, die über eine zeitnahe Ablösung des „Titans“ spekulieren. Wer sein Nachfolger wird? Etwa Oliver Bierhoff oder Herbert Hainer, der viele Eckpunkte dieser Identitätskrise ebenso zu verantworten hat wie seine Kollegen, über die allerdings deutlich mehr diskutiert wird als über den Präsident des FC Bayern selbst? Spekulativ, doch darum soll es zum jetzigen Zeitpunkt gar nicht gehen. Die Probleme bezüglich strategischer Entscheidungen als auch der schmerzlich vermissten Souveränität und Führungsstärke liegen ohne Zweifel tief.
Nächster Kaderumbruch?
Fakt ist, und dass wurde vor allem in den letzten Wochen und Monaten spätestens mit merkwürdigen Wintertransfers wie den von João Cancelo immer mehr deutlich: Die Kaderplanung des Vereins, die kurzfristig medial zwar immer wieder für ein gewisses Frohlocken sorgte, gleicht in dieser Saison ebenso einem absoluten Desaster. Spieler wie Sadio Mané, die mehr durch ihre Gewalttätigkeit als durch ihre Tore auffielen, wurden vor der Saison als absolute Königstransfers gefeiert, die die Mannschaft auf das nächste Level heben sollten. Doch genauso wie bei anderen teuren Reservisten, beispielsweise Ryan Gravenberch (18,5 Mio. €) oder Mathys Tel (20 Mio. €), ging der Plan auch in der Breite nicht auf und sorgte für vorprogrammierte Unruhe innerhalb der Kabine. Einzig Matthijs de Ligt, der nach seinem 67 Mio. € schweren Wechsel von Juventus Turin sofort zum Abwehrchef aufstieg, fällt aus dieser Wertung heraus. Von der Besetzung der Innenverteidigerposition mit dem 23-Jahre alten Niederländer, kommt man auf einen anderen Akteur zu sprechen, der diese Rolle ebenso gerne eingenommen hätte. Beispielsweise Benjamin Pavard fiel im Zuge dessen durch seine öffentlich gehegten Wechselgedanken auf und trug nicht unbedingt dazu bei, das Klima im Umfeld der Mannschaft zu beruhigen. Die meisten Probleme, mit denen man sich konfrontiert sah und sieht, sind hausgemacht. Man erinnere sich neben einer Kabinenschlägerei oder den Pavard Äußerungen nur mal an den Paris Trip von Serge Gnabry, samt merkwürdig hoher Geldstrafe oder die Unruhen um die Entlassung des Neuer-Vertrauten Tapalovic als Torwarttrainer sowie den Skiunfall des Weltmeisters. Dass nach dessen Verletzung eine Grundsatzdiskussion mit anschließendem Interview seitens Neuer entbrannte, die der Club öffentlich nicht einzudämmen wusste, belegt die Kopflosigkeit des Vereins auch in der Handhabung verschiedener Querulanten nur noch mehr. Es kündigt sich in jedem Fall ein weiterer Kaderumbruch an der Isar an, der neben einer dringend benötigten Verstärkung auf der Stürmerposition (Kane, Osimhen, Kolo Mouani) auch die Beseitigung von Unruheherden wie Mané, Pavard oder Cancelo nach sich ziehen könnte. An diesen Stellen muss der FC Bayern anfangen, wenn man die Basis, die die Mannschaft samt Trainerteam nun mal ist, stärken möchte, um in Zukunft wieder durch sportliche Erfolge von sich reden zum machen.
Zurück in die Zukunft
Beim FC Bayern dreht sich aktuell zu vieles um hausgemachte Probleme. Egal auf welche Ebene man blickt, im Verein brennt es lichterloh. Da hilft auch die musikalische Untermalung der Frohnaturen und Kabinen DJs Alphonso Davies oder Leroy Sané nicht mehr dabei, die Stimmung konsequent aufrecht zu erhalten. Getreu dem Motto „Wenn der Beat nicht mehr läuft“, geht es im Verein aktuell darum, den eigenen Rhythmus wiederzufinden und den klaren Takt für die strategische Ausrichtung der nächsten Jahre vorzugeben. Ob dieses Unterfangen dann noch mit wackelnden Entscheidungsträgern wie Kahn, Salihamidžić oder Hainer in Angriff genommen wird, steht auf einem anderen Blatt Papier, bedingt aber maßgeblich die Identifikation der Fans mit dem Verein, seinen Werten und des weltberühmten „Mia san mia“ Gefühls, dass den Verein immer auszeichnete. Man darf gespannt bleiben, welche Schlüsse der Verein, der in den letzten Monaten nicht unbedingt durch Rationalität auffiel, aus dieser Identitätskrise zieht und wie man sich in Zukunft aufstellen wird.