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In ein paar Stunden ist es also soweit: In Katars Hauptstadt Doha steigt das heiß erwartete Finale zwischen Titelverteidiger Frankreich und Herausforderer Argentinien. Während die Franzosen mit insgesamt 10 Weltmeistern von 2018 nach dem zweiten Titel in Folge greifen, wartet ganz Argentinien um seinen Superstar Lionel Messi sehnsüchtig auf den ersten Turniersieg seit 1986. Wer wird sich also durchsetzen können, wenn es darum geht, sich den größten Titel im Weltfußball zu sichern? Die zu einer Einheit geformten, herausragenden Individualisten aus Mitteleuropa oder die heißblütigen Gauchos aus Südamerika? Es steht uns ohne Zweifel eines der spannendsten Finals der letzten Jahrzehnte bevor, bei dem es für beide Teams nur ein Motto geben wird: Alles oder nichts. Im Folgenden wagen wir einen Blick voraus und nehmen eine Analyse der Teams vor, bei der das Hauptaugenmerk vor allem auf deren Stärken und Schwächen sowie dem bisherigen Turnierverlauf liegt. Zum Schluss schätzen wir die Siegchancen beider Mannschaften ein und wagen eine ganz eigene Weltmeisterprognose.
Argentinien: Ein Kollektiv fightet sich ins Finale
Für Argentinien verlief bei dieser Weltmeisterschaft definitiv nicht immer alles nach Plan. Die meisten werden sich noch gut an die sensationelle Auftaktniederlage des großen Favoriten gegen die Underdogs aus Saudi-Arabien (1:2) erinnern, bei der das leidenschaftlich kämpfende Team aus Nahost die heißblütigen Gauchos nach 36 ungeschlagenen Spielen in Folge schnell auf den Boden der Tatsachen zurückholte. Das ganze Land stand unter Schock, doch nachdem dieser überwunden war, erwies sich die Schlappe zu Beginn als Weckruf zur rechten Zeit, denn die Startruppe um Leo Messi schien von Spiel zu Spiel immer stärker zu werden. Nach überzeugenden Siegen gegen Mexiko und Polen zog man schließlich doch in die K.o.-Runde ein und besiegte dort Überraschungsteam Australien, starke Niederländer und wieder einmal auftrumpfende Kroaten extrem souverän. Vor allem der Kapitän der Albiceleste schien mit jedem Spiel stärker zu werden und trug sein Team nahezu im Alleingang zum Finaleinzug. Man stellt im Kollektiv definitiv eine gefestigte Einheit dar, die für ihren Anführer Messi nahezu alles aufzuopfern bereit ist. Vor allem Entdeckungen wie Enzo Fernández oder Julian Alvarez stechen in diesem verschworen Haufen besonders heraus, so gilt ersterer nach den zuletzt gezeigten Leistungen als heißester Anwärter auf den Titel „Bester Nachwuchsspieler des Turniers“. Das der junge Mittelfeldmann von Benfica Lissabon mittlerweile mit nahezu jedem Topclub in Europa in Verbindung gebracht wird, kommt dabei längst nicht mehr von ungefähr. Gäbe es die legendäre Nummer 10 im Team von Trainer Scaloni nicht, wäre die alte Fußballweisheit „Das Team ist der Star“ wohl die treffendste Beschreibung für diesen verschworenen Haufen überhaupt. Und im Grundsatz gilt diese Aussage eigentlich auch, nur eben mit dem Zusatz, dass alle Mannschaftsteile mit vereinten Kräften dafür kämpfen, ihren Star Lionel Messi in Szene zu setzen und ihm zum lang ersehnten Weltmeistertitel zu verhelfen, der ihm zur Krönung seiner großartigen Karriere noch fehlt. Vielleicht sollte man die alte Floskel in diesem Fall umwandeln und fortan sagen „Dieses Team besteht aus 10 Stars und einem Übermenschen“.
Frankreich: Individuelle Klasse zu einer Einheit geformt
Für Frankreich lief die WM hingegen bis auf einen Ausrutscher beim 0:1 gegen Tunesien nach bereits gelungener Qualifikation fürs Achtelfinale am letzten Gruppenspieltag nahezu tadellos. Ein tendenziell individualistisch veranlagtes Team aus Einzelkönnern wie Mbappé, Griezmann oder Dembelé wurde von Trainer Deschamps perfekt aufeinander abgestimmt und tritt mannschaftlich extrem geschlossen auf, in diesem Bereich fast schon als baugleiches Pendant zu Finalgegner Argentinien. Das sieht man am besten an Verteidiger Benjamin Pavard, der nach charakterlichen Verfehlungen im Anschluss an das Auftaktmatch gegen Australien (4:1) auf die Bank verbannt wurde, obwohl er 2018 in Russland zur erfolgreichen Weltmeistermannschaft der Équipe Tricolore zählte und gegen den heutigen Gegner per Traumtor mit den Weg zum Titel ebnete. Trainer Deschamps, als Spieler selbst Weltmeister, versteht es, zum Wohle des Teams Störenfriede zu identifizieren und diese auszutauschen, wenn nötig. Insgesamt weisen die Franzosen trotz allem andere Qualitäten auf als ihr Gegenüber, so kommen besonders die hochveranlagten Offensivkünstler über ihre Variabilität und Schnelligkeit. Mit Antoine Griezmann besitzt die Mannschaft hinter den Spitzen einen überragenden Ballverteiler der in neuer Rolle glänzt und seine Vorderleute Giroud, Mbappé und Dembélé auf absolutem Weltklasseniveau in Szene setzt. Nicht umsonst erzielten die beiden erstgenannten bereits vier bzw. fünf Turniertreffer bei dieser Endrunde. Im Endeffekt wird es für die Franzosen, die vor dem Finale mit einer enormen Grippewelle zu kämpfen haben, darauf ankommen, die Schlüsselspieler der Argentinier aufzuhalten und selbst die eigenen Stärken durchzudrücken. Individuell sind die Mitteleuropäer besser besetzt und so scheint es vor allem auf der Ebene des Willens darauf anzukommen, in wieweit man den leidenschaftlichen Argentiniern mental Paroli bieten kann.
Mbappé gegen Messi – Das Duell der Superstars
Wenn man auf die beiden Teams und deren einzelne Positionen blickt, stechen unweigerlich deren jeweilige Stars heraus. Mit Kylian Mbappé und Lionel Messi stehen sich die wohl aktuell beiden besten Offensivspieler der Welt im Finale dieser Weltmeisterschaft gegenüber. Während der junge Franzose im bisherigen Turnierverlauf 5 Tore und 2 Vorlagen für die Équipe Tricolore beisteuerte, brachte es Altmeister Messi sogar auf 5 Tore und 3 Vorlagen für seine Albiceleste. Die Teamkollegen aus Paris scheinen rechtzeitig zu diesem Finale am 18.12. in Bestform zu sein, um ihren Mannschaften zum ganz großen Wurf zu verhelfen. Ohnehin sind beide im bisherigen Saisonverlauf in bestechender Form und eilen auch auf Vereinsebene von Sieg zu Sieg. Ein Trend, der sich nun auch auf Nationalmannschaftsebene fortzusetzen scheint. Während Mbappés Franzosen also bereits zum zweiten Mal in Folge nach dem Weltpokal greifen, wäre es für die Argentinier und Messi der erste Titel seit sage und schreibe 36 Jahren. Auch hier stellt sich wie so oft bei einem solchen Turnier die alles entscheidende Frage: Wer will es mehr? Mbappé, der als einer der wenigen Spieler im Weltfußball in den Genuss kommen könnte, zwei WM Titel zu gewinnen oder doch Lionel Messi, der sich mit dem Erreichen des goldenen Pokals seinen Lebenstraum erfüllen würde? In jedem Fall handelt es sich bei diesem Finale auch auf dieser Ebene um ein Duell der Extraklasse, das durch zwei absolute Ausnahmekönner entschieden werden könnte, um ihrer Nation den Sieg zu bringen. Man darf gespannt bleiben, wer dieses schlussendlich siegreich bestreiten wird.
Redaktionsprognose zum Finale
Beide Mannschaften scheinen (wenig verwunderlich) bis in die Haarspitzen motiviert zu sein, um den heiß ersehnten WM Pokal nach Hause zu bringen. Die Vorzeichen sind dabei für beide vor allem in Bezug auf ihre Siegchancen recht ähnlich. Galten die Argentinier aufgrund von Lionel Messis überragender Frühform ohnehin als Turnierfavorit, stehen die Franzosen dieser Zielsetzung allein aufgrund ihrer individuellen Qualität in nichts nach. Dass Mbappé und Co. das Zeug zum Titel haben, müssen sie längst nicht mehr beweisen. Les Bleus gelten trotz allem als leicht favorisiert, vor allem da man die etwas breitere Spielanlage besitzt und während eines Spiels taktisch variabler auf gewisse Eventualitäten wie einen Rückstand oder verletzungsbedingte Ausfälle reagieren kann. Auch Trainer Deschamps gilt als alter Hase und hat Trainer Scaloni in einigen Belangen etwas voraus, besonders wenn es um die gewisse Erfahrung in entscheidenden K.o.-Spielen geht. Argentinien wird nur dagegenhalten können, wenn man die während dem gesamten Turnier bereits eingebrachten Stärken auf den Platz bringt ihr Superstar mit der Nummer 10 einen weiteren Sahnetag erwischt. Alles in allem ein sehr ausgeglichenes Spiel, dass Frankreich knapp gewinnen wird. Vielleicht sogar erst in Verlängerung oder Elfmeterschießen.