Ein Mainzer Dauerdilemma

Mainz 05 – https://creativecommons.org/licenses/by-nc/4.0 Foto: Mainzerize 

Lesezeit: 5 Minuten

Beim 1. FSV Mainz 05 vollzieht sich gerade erneut eine Entwicklung, die oberflächlich vielen entgehen mag. Doch bei genauerem Hinsehen wirkt die sportliche Situation des Teams wie ein Trugschluss, der in Rheinhessen bald schon zum nächsten Knall führen wird.

Fünf Spiele – Fünf Punkte – 8:10 Tore. Was sich auf den ersten Blick mit Tabellenplatz 12 also wie ein annehmbarer Saisonstart liest, ist für Mainz 05 nicht weniger als ein trügerischer Schein. Die sportlichen Darbietungen des Teams von Energiebündel Bo Henriksen sind spielerisch größtenteils einfallslos, die Abhängigkeit von Schlüsselspielern wie Nadiem Amiri viel zu offensichtlich. Dennoch wähnen sich die Mainzer oberflächlich in ruhigem Fahrwasser. Die Verblendung der Verantwortlichen, die bereits seit mehr zwei Jahren andauert, könnte nach Svensson in kürzester Zeit auch einen weiteren Bo bald seinen Kopf kosten.

Die Mainzer Krise in der Audio-Analyse

Die Probleme der FSV liegen tiefer, als die Öffentlichkeit es auf den ersten Blick erkennen mag. Angefangen bei den sportlichen Performances des Teams. Seit zwei Jahren stagniert ein doch eigentlich mehr als bundesligataugliches Kollektiv am unteren Ende der Nahrungskette. Doch warum ist das so? In Mainz haben sie es verpasst, den immer selben Problemen energisch entgegenzuwirken. Stattdessen konzentrierte man sich mit Durchhalteparolen und Personalwechseln darauf, vom wirklich Offensichtlichen abzulenken.

Im Jahr 2020 kehrte Vereinsinstitution Christian Heidel unter tosendem Applaus nach Mainz zurück. Und auch wenn die ersten ein und halb Jahre unter dem Baumeister des Erfolgs höchst erfolgreich verliefen, ist der gelernte Bankkaufmann mittlerweile das Gesicht des sportlichen Niedergangs. In Mainz stinkt der Fisch nämlich vom Kopf. Das müssen sie auch in Rheinhessen irgendwann als schmerzhafte Realität begreifen. Sonst wird man über kurz oder lang irgendwann definitiv den Naturgesetzen der sportlichen Nahrungskette zum Opfer fallen.

Auf der Führungsebene hakt es in Mainz

Heidel wirkt bei den Verantwortlichen rund um den Vorstandsvorsitzenden Stefan Hofmann als so etwas wie der unantastbare Messias, der sich offenbar auch weiterhin Transferfenster für Transferfenster massivste Unzulänglichkeiten in der Personalplanung erlauben darf. Im Verbund mit Ex-Sportdirektor Martin Schmidt verantwortet der 61-Jährige so einen Kader, der auf dem Papier zwar bundesligatauglich wirkt, in der Praxis aber auch einen rastlosen Motivator wie Bo Henriksen bereits früh in der Saison an seine Grenzen bringt.

Die verpatzte Dynamik der Abgänge von Führungsspielern ließ vor rund einem Jahr sogar den wohlmöglich besten Trainer der Vereinsgeschichte, Bo Svensson, krachend scheitern. Dabei wäre das ohne Zweifel vermeidbar gewesen. In Mainz verstehen sie bis heute nicht, dass kurzfristige Fehler ihre Wirkung oftmals erst langfristig entfalten. Einen absoluten Führungsspieler wie Ádám Szalai verscherbelte man im Januar 2022 mit einem Schulterzucken ersatzlos an den FC Basel, die beiden Stamm-Innenverteidiger Jerry St. Juste und Moussa Niakhaté wenig später für ordentliche Transfersummen ins europäische Ausland.

In Mainz werden Dynamiken nicht erkannt

Viele werden nun die überragende Rückrunde der Mainzer der Saison 2022/23 vor Augen haben, die nur knapp an der Qualifikation fürs europäische Geschäft vorbeiführte. Doch der Schein trügt. So gewannen die Nullfünfer viele Spiele gegen enorm formschwache Kontrahenten mit viel Glück und spielten durch vorübergehende Formhochs wie dem von Neuzugang Ludovic Ajorque weit über ihren Möglichkeiten.

Bo Svensson, der ohnehin getreu seiner Nationalität als realitätsgebundener Pragmatiker galt, erkannte das. Im Sommer letzten Jahres forderte der heutige Trainer von Union Berlin immer wieder Verstärkungen, die er nie bekam. Als der FSV dann auch noch am Deadline Day seinen absoluten Unterschiedsspieler Anton Stach an Hoffenheim abgab, war das sportliche Schicksal der Mainzer besiegelt.

Hier klicken, um den Inhalt von X anzuzeigen.
Erfahre mehr in der Datenschutzerklärung von X.

Bereits vor einem Jahr wurde unzählige Male auf die sportliche Extremsituation des Vereins hingewiesen. Geändert hat sich seitdem nur der Übungsleiter. Doch auch der musste sich im Sommer erneut die gleichen Fehler ansehen, die sie in Mainz einfach immer und immer wieder zu machen scheinen. Mit Spielern wie Leo Barreiro, Sepp van den Berg oder Brajan Gruda wurden zentrale Bausteine des Teams abgegeben und teilweise erst am Deadline Day (unzureichend) ersetzt. Was eine solch fatale Zeitplanung mit der Saisonvorbereitung eines Chefcoachs anstellt, ist ungeheuerlich. Bo Henriksen ist nicht der Schuldige, sondern in mehreren Hinsichten das nächste Bauernopfer der Vereins-Bosse.

Auch der Kicker analysierte das vor Kurzem sehr treffend. Das sind allesamt Faktoren, die zum aktuellen FSV-Gesamtbild passen. Es herrscht eine nicht ganz greifbare Unruhe im sonst so gesitteten Mainzer Umfeld. Dass auch wenige Monate nach der grandiosen Rettung bereits wieder erste Diskussionen bezüglich der Trainerpersonalie aufkommen, ist ebenfalls ein Zeichen mangelnder Weitsicht.

Immer wieder die gleichen Fehler

Ja, Bo Henriksen ist für Mainz 05 ein Glücksgriff gewesen – aber nur in genau der Situation, in der sich die 05er damals befanden. Den streitbaren Dänen, mit einem einseitigen Spielkonzept trotz des Wissens um seine sportliche Herangehensweise mit einem Vertrag bis 2026 auszustatten, ist die nächste schlechte Entscheidung der Verantwortlichen gewesen.

Nicht deshalb aber, weil der 49-Jährige ein schlechter Trainer ist. Er war zu dieser Zeit der passende Coach für eine sportlich fast ausweglose Situation. Und genau das ist der große Trugschluss von Heidel und Co.: Kurzfristig richtige Entscheidungen können niemals ihren langfristig negativen Auswirkungen entgehen.

Und genau deshalb ist den Verantwortlichen nach Jan Siewert im Hier und Jetzt erneut das Kunststück gelungen, den richtigen Coach zur falschen Zeit zu beschäftigen. Dass man am Bruchweg sowohl den ehemaligen Junioren-Cheftrainer als auch Henriksen mit einem Vertrag bis 2026 ausgestattet hat, wirkt fast wie eine kindliche Trotzreaktion der Verantwortlichen.

Der Mainzer Weg gilt nicht für Jedermann und ist je nach Gemengelage immer wieder neu zu evaluieren. Doch das scheinen ironischerweise genau die nicht zu verstehen, die diesen Weg einst prägten. Doch an dieser Art von Selbstreflexion fehlt es den Herren Heidel, Hofmann und Co. offenbar längst an allen Ecken und Enden. Wenn sie in Mainz nicht aufpassen, führt das Festhalten an einem völlig deplatzierten Personenkult schon bald zurück in die Niederungen des Profifußballs.

Hier klicken, um den Inhalt von TikTok anzuzeigen.
Erfahre mehr in der Datenschutzerklärung von TikTok.

Für Dich

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert