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Auf dem letzten Platz übernahm Bo Svensson Mainz 05 einst, auf dem letzten Platz verlässt er den Verein nun knapp drei Jahre später auch wieder. Dazwischen begeisterten der Däne und sein Team die Bundesliga zeitweise mit grandiosen Aufholjagden, zunichte gemachten Meisterschaften sowie einer perfektionierten Underdog-Mentalität, die so wohl auf ewig unvergessen bleibt. Ein Kommentar zum Wirken des Publikumslieblings und ein Zukunftsausblick auf den Bundesligastandort Mainz.
Wunder geschehen
Am 04. Januar 2021 übernahm Bo Svensson in Mainz 05 einen Abstiegskandidaten, der an diesem Tag mit mageren 6 Pünktchen auf dem letzten Tabellenplatz der Fußball Bundesliga stand. Nicht mehr zu retten schien dieses Team, das zu diesem Zeitpunkt bereits zwei Trainer inklusive Spielerstreik verschlissen hatte. Nach der Hinrunde und Svenssons erstem Achtungserfolg in Dortmund (1:1), standen 7 Zähler auf dem Konto, doch was danach passierte, gleicht bis heute einem nicht für möglich gehaltenem Fußballwunder. Ganze 32 Punkte holte Mainz 05 in der Rückrunde 2020/21, schlug den FC Bayern und sicherte Mal eben den vorzeitigen Klassenerhalt. Ein Mythos war geboren, dieser Verein galt von nun an für alle als personifiziertes Mentalitätsmonster und Musterbeispiel für das Motto „Niemals aufgeben!“. In kurzer Zeit war in diesem Club wieder etwas zusammengewachsen. Angefangen mit der Rückkehr von Identifikationsfiguren wie Christian Heidel oder Martin Schmidt und vor allem mit der goldrichtigen Entscheidung, eben jenen Svensson als unerfahrenen Trainernovizen zu installieren und ihm Raum zum Wachsen zu geben.
Charismatischer „Bessermacher„
In Mainz waren sich spätestens nach dieser famosen Rückrunde alle einig: Hier sahen wir alle einen Trainer, der diesen Verein über Jahre hinweg prägen wird. Zu harmonisch schien Svenssons Wirken, das Miteinander mit seinen Schützlingen und der maßgeschneiderten Identität, die auf den Mainzer Tugenden Kampf und Leidenschaft basierte. Der Däne war ein „Bessermacher“, der auch in den kommenden beiden Jahren mit seinen Jungs nur eine Richtung einschlug: Die nach oben. Er und sein Trainerteam entwickelten die Mannschaft spielerisch Schritt für Schritt weiter und implementieren mithilfe von überragenden Transfers wie Ludovic Ajorque, Anton Stach oder Jae-Sung Lee ein kollektives Miteinander, das die Gegner regelmäßig vor extreme Herausforderungen stellte. Nicht zuletzt der FC Bayern verlor in der Liga gegen die „ekligen“ Mainzer zwischenzeitlich drei Auswärtsspiele in Folge und verdeutlichte das Potential dieses eingeschworenen Haufens. Einem überzeugenden 8. Platz in Svenssons erster vollen Saison folgte Platz 9 in der vergangenenen Spielzeit, in der man zwischendurch sogar für lange Zeit an den Europapokalplätzen schnupperte.
Schleichender Niedergang
Bereits in der Hinrunde der vergangenen Spielzeit offenbarte die Mannschaft dann ein ums andere Mal enorme Defizite sowohl gegen den Ball als auch in der Vorwärtsbewegung mit Ball. Mainz blieb zwischenzeitlich von Mitte Oktober 2022 (5:0 gegen Köln) bis Ende Januar 2023 (5:2 gegen Bochum) in insgesamt sechs Bundesligaspielen ohne Sieg, konnte diverse Missstände in der Folge allerdings durch eine famose Ungeschlagen-Serie in der Rückrunde mit insgesamt 10 Pflichtspielen ohne Niederlage kaschieren. Seit dem Höhepunkt dieser Ära mit dem glorreichen 3:1 gegen den deutschen Rekordmeister und dem zwischenzeitlichen Sprung auf Rang 6 ging es für die Nullfünfer stetig bergab und lässt den Verein nun bereits seit über sechs Monaten auf einen Bundesligasieg warten. Eine Entwicklung, die auch am rheinhessischen Erfolgscoach nicht spurlos vorbei ging und im höchst respektablen Rückzug des ehemaligen Innenverteidigers nach dem blamablen 0:3-Pokalaus in Berlin gipfelte.
Große Ernüchterung
Heute, einen Tag nach Svenssons Rücktritt als Mainzer Chefcoach samt emotionalem Abschiedsvideo, ist Ernüchterung eingekehrt in Rheinhessen, wo sie nach neun Spieltagen also weiterhin sieglos auf Rang 18 stehen. Der 44-Jährige wirkte zuletzt oft ratlos. Fast schon apathisch, verfolgte er das Treiben seiner Mannschaft auf dem Platz. Ihn verließ nicht nur das glückliche Händchen bei der Spielerauswahl, sondern auch seine lange Zeit so erfolgreiche Taktik schien sich schlichtweg abgenutzt zu haben. Der Däne wirkte ein Stück weit versessen wie stur und muss sich den Vorwurf gefallen lassen, zu lange an Leistungsträgern wie Kohr oder Fernandes festgehalten zu haben, die seit Wochen außer Form sind. Zudem fallen die Abgänge von Anton Stach sowie Aarón Martin enorm ins Gewicht, die von Vereinsseite einfach nicht adäquat genug ersetzt worden sind. Svensson trägt bei weitem nicht die alleinige Schuld und gilt dennoch als Gesicht dieser rot-weißen Krise, die sich also bereits seit Sommer letzten Jahres angedeutet hatte.
Quo vadis?
Wo geht es jetzt also hin für ein kriselndes Mainz 05, das sich auch in den stürmischsten Zeiten stets dem Zusammenhalt verschrieb und gemeinsam durch diese Krise gehen will. Bis auf Weiteres übernimmt U-23 Coach Jan Siewert die Verantwortung gegen RB Leipzig und wohlmöglich auch noch beim Abstiegsgipfel in Darmstadt kommende Woche. In der Länderspielpause wollen sich die Verantwortlichen um Sportvorstand Christian Heidel, Sportdirektor Martin Schmidt und Co. dann zusammensetzen, um eine langfristige Lösung zu finden. Wer das sein wird, bleibt zum jetzigen Zeitpunkt genauso spekulativ, wie eine seriöse Zukunftsprognose für den weiteren Saisonverlauf. Interne Kandidaten sind ebenjener Siewert, A-Jugend Meistertrainer Benjamin Hoffmann oder der derzeit vereinslose Ex-Mainzer Jugendcoach Bartosch Gaul. Interessante externe Alternativen wären beispielsweise der ehemalige Leipziger Ralph Hasenhüttl, der einen ähnlichen Spielstil pflegt wie Svensson oder der in Gelsenkirchen geschasste Thomas Reis. Es bleibt also abzuwarten, wo sich dieser Verein sportlich wie personell in den kommenden Monaten wiederfindet. Eins bleibt aber ganz gewiss: Die Dankbarkeit aller 05er für Bo Svensson und sein Wirken in knapp drei Jahren. Danke, Bo! Einmal Mainzer, immer Mainzer.