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Der FC Bayern München steht vor einer Rückholaktion von Vereinslegende Jérôme Boateng. Sportlich wie menschlich wird dieses Unterfangen im Grunde seit dem erstmaligen Aufkommen vor einigen Tagen von Fans wie Medien extrem kritisch beäugt. Wie stellt der FC Bayern, der mutwillig seine eigenen Werte untergräbt, sich eine solche Zusammenarbeit vor und in welcher Hinsicht stellt der Weltmeister von 2014 überhaupt eine Sofortabhilfe für den bestehenden Personalengpass dar?
Vereinslegende mit menschlichen Makeln
Vorweg: Die sportlichen Errungenschaften Jérôme Boatengs im Dress des FC Bayern sind unbestritten. In seinen zehn Jahren beim deutschen Rekordmeister gewann der mittlerweile 35-Jährige neun Meisterschaften, fünf Mal den DFB-Pokal sowie zwei Mal die UEFA Champions League. Unvergessen bleiben die beiden Tripletriumphe von 2013 und 2020, zu denen der Innenverteidiger maßgeblich beitrug. 2021 verabschiedete er sich dann unter einigen Nebengeräuschen vom Verein und verbrachte zwei sportlich eher semi erfolgreiche Jahre bei Olympique Lyon. Dort kam es fortan neben sportlichen Reibereien auch im Privatleben Boatengs zu einigen Turbulenzen wie einem (widerrufenen) Schuldspruch durch schwere Körperverletzung.
Der Tritt ins Fettnäpfchen
Als hätte der FC Bayern in den vergangenen Monaten aus den unzähligen Akten der desaströsen Außendarstellung nichts gelernt, begibt er sich nun erneut in der öffentlichen Kommunikation auf extrem dünnes Eis. Boateng ist ein Beschuldigter, dessen Verurteilung ausschließlich aufgrund eines Verfahrensfehlers neu aufgerollt wurde. Dass sich Vereinsverantwortliche wie Neu-Sportdirektor Christoph Freund in der Öffentlichkeit auf die bestehende Unschuldsvermutung beziehen, ist grundsätzlich legitim und dennoch äußerst fragwürdig. Beim FC Bayern und seinen unzähligen Medienprofis sollte man eigentlich wissen, welch verheerende Außenwirkungen derartige Äußerungen in vielen Teilen der Fanlager auslösen dürften, was nicht zuletzt der enorme Gegenwind auf Social Media beweist. Selbst die bloße Verbindung mit einer derart umstrittenen Persönlichkeit, von der sich sogar sein eigener Bruder Kevin-Prince Boateng vor wenigen Jahren distanzierte, sorgte bereits für enorm viel Wirbel rund um die Säbener Straße.
„Ich identifiziere mich nicht mit den Taten meines Bruders und habe deshalb nichts mehr mit ihm zu tun“ ~Kevin-Prince Boateng
Schlechte Personalplanung
Dass dieses Dilemma hausgemacht ist, sollte zu keiner Zeit in Zweifel gezogen werden. Spätestens wenn man auf die Personalplanung des Vereins blickt, wird klar, dass der FC Bayern sich nicht nur mit der Personalie Boateng ein Eigentor geschossen hat, sondern auch mit der eigenen Fehleinschätzung der sportlichen Qualität in der Kaderbreite. Thomas Tuchel, der als bekennender Fan des Innenverteidigers gilt und diesen bereits vor einigen Jahren zu Paris St. Germain locken wollte, forderte über den Sommer hinweg immer wieder neue Spieler, die er nicht bekam. Die in Betracht gezogene Verpflichtung des Weltmeisters von 2014 ergibt somit ein doppeltes Dilemma, das der Verein hätte vermeiden müssen. Eigengewächs Josip Stanišić beispielsweise spielt mittlerweile auf Leihbasis in Leverkusen, während der Verein zu einem öffentlich mehr als umstrittenen Ergänzungsspieler greifen muss, bei dem sich ein Jeder die Frage stellt: Warum ausgerechnet er?
Alternativlose Alternativen
Abgesehen davon, dass der ehemalige HSV-Profi seit Juni kein Pflichtspiel mehr bestritten hat und bei Ex-Verein Lyon vergangene Saison nur ganze zehn Pflichtspiele bestritt, zeigt diese Tatsache ebenso den sportlich sinkenden Wert eines Akteurs auf, der nicht mal mehr für Vereine der gehobenen Mittelschicht als zuverlässiger Startelfspieler zu gebrauchen war. Auch wenn er in München nur als beliebter Ergänzungsspieler mit Kurzzeitvertrag angedacht ist, erfüllt Boateng weder menschlich noch sportlich dass nötige Anforderungsprofil auf diesem Niveau. Falls der Rekordmeister schon auf dem Markt vereinsloser Spieler fündig werden muss, stünden mit Ex-United Akteur Phil Jones oder Ex-Schalker Salif Sané weitere Alternativen bereit, die über ein sportlich ähnliches Leistungsvermögen wie Boateng verfügen dürften. Ohne wenn und aber muss der FC Bayern die Verpflichtung dieses Spielers schleunigst ad acta legen und sich anderweitig umsehen, will er nicht seine eigens gepredigten Werte mit Füßen treten.