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Sie haben es also schlussendlich doch getan: Graham Potter wurde am gestrigen Sonntag beim FC Chelsea beurlaubt und ist nach nur sieben Monaten im Amt seinen Job schon wieder los. Kurz nach Saisonbeginn von den neuen Eigentümern des Londoner Clubs um Eigentümer Todd Boehly noch als langfristiges Versprechen installiert, ist man nun erneut auf der Suche nach einem fähigen Chefcoach. Das Vorgehen des Vereins wirkt einerseits konsequent, andererseits auch wieder überraschend, was ziemlich gut das Wirken der US-Amerikanischen Investoren seit ihrer Übernahme im Sommer beschreibt: Es ist die pure Planlosigkeit. Der folgende Kommentar behandelt vor allem eine kritische Sicht auf die Chronologie des Scheiterns, die Konsequenzen von Potters Entlassung sowie die möglichen Folgen und potentielle Trainerkandidaten.
Chronologie des Scheiterns
Im Grunde war Potters Wirken in London von Anfang an zum Scheitern verurteilt. Nicht zuletzt die komplett unverständliche Trennung von Erfolgstrainer Thomas Tuchel, die im Verein den meisten ziemlich sauer aufstieß, sorgte für besondere Begleitumstände beim Wechsel des Zauberers von Brighton, den sich der FC Chelsea zu dieser Zeit satte 25 Millionen Euro kosten ließ. In der Folge blieb man unter dem Mann, der zuvor nur Swansea City und Östersunds FK trainiert hatte, zwar die ersten sieben Ligaspiele ungeschlagen, geriet aber bald darauf in arge Turbulenzen, was das sukzessive Abrutschen ins Niemandsland der heimischen Premier League bedeutete. Dass der Verein zwischenzeitlich in der Champions League gegen den BVB das Champions League Viertelfinale erreichte, war nicht mehr als ein winziges Formhoch und die Verkettung glücklicher Umstände, sodass auch diese sportliche Errungenschaft Potter nicht mehr retten konnte. Nach einem 0:2 zu Hause trotz Chancenwucher gegen Aston Villa entschieden sich die Bosse an der Stamford Bridge nun für die sofortige Entlassung des einstigen Hoffnungsträgers. So lautet der aktuelle Ist-Zustand in London, der 25 Millionen komplett in den Sand gesetzt sieht und den Verein vor den wichtigen Duellen gegen den FC Liverpool in der Liga und den Champions League Duellen gegen Real Madrid ohne Cheftrainer dastehen lässt. Da halfen auch die 330 Mio. Euro teuren Winterneuzugänge nichts mehr.
Welche Konsequenzen hat Potters Entlassung?
Beim FC Chelsea ist man innerhalb von nur sieben Monaten nun zum zweiten Mal auf der Suche nach einem geeigneten Dompteur für das aufgeblasene Blues Rudel, was die Aufgabe nicht leichter macht. Mit Graham Potter hat man sich an einem relativ unbeschriebenen, kommunikativen Blatt versucht, was sich bekanntermaßen als sportliche Fehleinschätzung herausgestellt hat. Mit seiner Entlassung geht aber nicht nur das Eingeständnis der eigenen Fehler einher, sondern auch gleichzeitig die Problematik, aktuell ohne Cheftrainer agieren zu müssen. Die tägliche Arbeit und das bereits angesprochene Nachholspiel in der Premier League gegen den ebenfalls kriselnden FC Liverpool am morgigen Dienstag sind sportliche Herausforderungen, die nun erstmal vom Kollektiv sowie dem aktuellen Interimstrainer Bruno Saltor (bisheriger Co-Trainer Potters) aufgefangen werden müssen. In wieweit dass in dieser Konstellation in Hinblick auf die letzten Wochen zu funktionieren vermag, sei an dieser Stelle mal dahingestellt. Die Frage ist nun, wie die sportlichen Verantwortlichen an der Themse diesbezüglich jetzt vorgehen. Probiert man es erneut auf die „visionäre“ Weise und installiert einen weiteren „everybodys darling“, bei dem die sportlichen Qualifikationen konträr zur menschlichen Komponente verlaufen, oder man vertraut auf einen Mann, der seine Qualitäten durch Titel und eine möglicherweise autoritäre Führungspersönlichkeit bereits nachgewiesen hat? Namen kursieren genug im Umfeld der Blues, die allesamt auf ihre Art und Weise spannend klingen, aber auch unterschiedliche Voraussetzungen mitbringen.
Nagelsmann Topkandidat – Überraschungslösung Mourinho?
Wirft man mal einen Blick auf die gehandelten Kandidaten, sticht einem definitiv als erstes der Name Julian Nagelsmann ins Auge. Wurde der 35-Jährige erst vor ca. 10 Tagen beim FC Bayern entlassen, ist seine Personalie im Zusammenhang mit dem vakanten Trainerjob bei den Blues die logische Konsequenz. Er bringt trotz seiner gescheiterten Mission beim FC Bayern fast alles mit, was ein Toptrainer auf diesem Niveau braucht und würde sich mit seiner Art und Weise sicherlich auch gut im Verein einfügen. Zudem ist nicht zu unterschätzen, dass mit Christopher Vivell beim FC Chelsea seit Ende letzten Jahres ein ehemaliger Weggefährte aus Leipziger Zeiten als Technischer Direktor tätig ist. Der ehemalige RB Coach und Vivell schätzen sich sehr, was durch die kurzen Kommunikationswege sowie die gegenseitige Bewunderung für Nagelsmanns Ernennung sprechen würde. Allerdings und so klar muss man auch sein, fällt Nagelsmann genauso wie Ex-Spurs Mann Mauricio Pochettino durch seine Art sowie seine geringe Erfahrung auf höchstem Niveau eher in die Kategorie Graham Potter, was uns zu den anderen Kandidaten bringt, die im Vereinsumfreld gehandelt werden. Zum einen wäre da José Mourinho, der bereits zwei Mal an der Stamford Bridge tätig war und keine lange Anlaufzeit benötigen würde. Durch seine unzähligen Erfolge und sein autoritäres Charakterdesign wäre er in jedem Fall eine Wahl, die sich kurz- und mittelfristig für Boehly und Konsorten bezahlt machen könnte. Mourinho ist ein Gewinnertyp, der dem ohne Zweifel hochveranlagten Kader Chelseas kurzfristige Impulse einimpfen könnte, die sich vor allem in der Champions League gegen den Titelverteidiger aus Madrid bezahlt machen könnten. Dennoch wäre „The Special One“ auch aufgrund seiner Anstellung bei der AS Rom eine Wahl, die nicht zuletzt wegen seiner Zufriedenheit und seines Kultstatus in Italien sehr überraschend käme und diese Option unrealistisch wirken lässt. Als weitere Kandidaten gelten Ex-Barca und Spanien Coach Luis Enrique, dem ebenso wie Ex-Real Coach Zinedine Zidane allerdings nur Außenseiterchancen eingeräumt werden.
Chelsea steht vor richtungsweisender Zukunft
Egal, wer es im Endeffekt wird oder für welchen Ansatz man sich im Verein auch entscheiden mag, die nächste Wahl muss sitzen, denn sonst rücken auch irgendwann die sportlichen Entscheidungsträger der Blues in den Vordergrund. Dass Boehly und seine Entourage spätestens seit der komplett unverständlichen Entlassung ihres Erfolgstrainers Thomas Tuchel, auf den man möglicherweise im Halbfinale der Champions League treffen könnte, bei weiten Teilen der Fans in der Kritik stehen, ist hinlänglich bekannt. Der Verein steht am sportlichen Scheideweg und muss zwingend sowie schnellstmöglich die richtigen Schlüsse ziehen, um sich sportlich in dieser Saison noch fürs europäische Geschäft qualifizieren zu können. In beiden Wettbewerben, sowohl der Premier League, als auch in der Champions League ist die Lage so aussichtslos, dass nur noch ein Wunder die Blues retten könnte. Und wer weiß, vielleicht sorgt das ganze Theater und die passende Cheftrainerwahl in den kommenden Monaten im Verein dann doch auch mal wieder für positive Schlagzeilen.