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Der 251. Clásico ist nun also Geschichte. Das prestigeträchtigste Spiel im Weltfußball, das auch gestern wieder seine eigene Geschichte schrieb, ging im Halbfinal Hinspiel des spanischen Königspokals mit 1:0 an den FC Barcelona. Die extrem ersatzgeschwächten Katalanen schafften es also, trotz enormer Ausfälle um Starstürmer Lewandowski und Mittelfeldmotor Pedri einen Sieg aus dem Estadio Santiago Bernabéu zu entführen und sich eine gute Ausgangslage fürs Rückspiel in rund einem Monat zu verschaffen. Real Madrid, das in allen Belangen überlegene Team dieses Gipfeltreffens, sollte sich im Anschluss der Partie fragen, warum man nicht mehr erreicht hat, die große Chance verstreichen lies, den Erzrivalen nachhaltig zu schwächen und sich nun ein weiteres Mal dazu berufen fühlen muss, die x-te „Remontada“ (dt. Aufholjagd) einzuleiten. Meine Gedanken zu einem denkwürdigen Clásico erfahrt ihr im folgenden Text.
Real überlegen, Barca effizient
Das Spiel startete im Grunde genau so, wie es jeder erwartete. Real Madrid begann sofort druckvoll und mit hohem Pressing, um die Katalanen direkt in Bedrängnis zu bringen. Dass aus einem ersten Ballgewinn nach ca. 40 Sekunden die erste Chance durch Routinier Luka Modrić entstand, ist in sofern erwähnenswert, als dass sie trotz Abseitsstellung für lange Zeit die einzig nennenswerte Gelegenheit für Real Madrid im ganzen Spiel blieb. Ja, ihr habt richtig gehört: Im ganzen Spiel. Die Königlichen spielten sich im Stile einer Handballmannschaft den Ball um den Kreis (in diesem Fall den Strafraum) der gegnerischen Mannschaft zu, ohne dabei große Lücken reißen zu können. Ausdruck dieser Ideenlosigkeit waren die immer wieder gleichen Muster im Spiel der Blancos: Harmlose Halbfeldflanken von Viní Jr. oder Carvajal, ungefährliche Distanzschüsse aus der zweiten Reihe durch Eduardo Camavinga oder noch inhaltlosere Ecken von Toni Kroos. Madrid fand einfach kein Mittel an diesem Abend, der im Vorfeld der Partie fast schon wie gemacht für einen deutlichen Sieg der Hausherren zu sein schien. Doch bei aller Kritik am Spiel von Carlo Ancelottis Team, möchte ich an dieser Stelle gerne auch ein besonderes Lob an die Defensive Barças verteilen. 97 Minuten lang so konsequent zu verteidigen, im Verbund die Linie zu halten und vor allem in Person von Ronald Araújo (für mich Mann des Abends) gegen Vinícius Júnior eine derart effektive Manndeckung zu spielen, hat nicht mehr und nicht weniger als tosenden Applaus verdient. Dass dieser 1:0 Erfolg auf gegnerischem Rasen zustande kam, ist vor allem mit der hervorragend organisierten Defensive der Blaugrana verbunden.
Xavi coacht Ancelotti erneut aus
Der dritte Clásico dieser Saison war zugleich der zweite in Folge, aus dem Barca siegreich hervorgehen konnte. Und das kommt in meinen Augen nicht von ungefähr, sondern ist ein klarer Ausdruck für die Fähigkeiten Xavis bzw. die sture Art von Ancelotti, an seinem eigenen, pragmatischem Fußball festzuhalten. Nach dem Sieg in der spanischen Supercopa Ende Januar schlug der Tabellenführer aus Spaniens La Liga den Rivalen erneut mit einfachsten Mitteln und ist nun auch im Pokal drauf und dran, den ewigen Konkurrenten aus dem Weg zu räumen. Mit einer wie bereits erwähnt kompakt aufgestellten Defensive, sowie einzelnen Positionsrochaden zwischen Araújo und Koundé, die sich je nach Struktur von Reals Angriffsspiel auf ihre Gegenspieler aufteilten, sowie schnellen Bällen zur Überbrückung des dominanten königlichen Mittelfelds kam Barca auch zu seinem einzigen Tor des Abends. Dieses wurde zwar nicht selbst erzielt, war allerdings in der Entstehung symptomatisch für das zuvor beschriebene „Muster“ im Spiel der Gäste. Ein schneller Ball aus der Abwehr heraus fand über Gavi den Weg auf den starken Franck Kessié, der dabei mithalf, das Eigentor durch Éder Militão zu erzwingen. Brutale Effizienz dieser Mannschaft gegen einen Gegner, der normalerweise selbst für eben genau diese Attribute steht: Cleverness und Effizienz. Für mich ein klassischer Fall von „mit den eigenen Mitteln geschlagen werden“. Um zurück zum Ausgangspunkt zu kommen: Ancelotti hat dieses Muster im Spiel der Katalanen unter Garantie erkannt, aber aufgrund der selbstverherrlichenden Spielweise seines Teams keinen Grund gesehen, taktische Anpassungen vorzunehmen, wie er auch nach dem Spiel auf der Pressekonferenz zu Protokoll gab. Die Uneinsichtigkeit des Italieners geht mir schon seit seiner ersten Amtszeit gewaltig gegen den Strich und noch dazu kam in diesem Spiel die völlig falsche Wechselstrategie „Carlettos“.
Falsche Wechsel ermöglichen Barça Triumph im Bernabéu
Ancelotti, sonst bekannt für sein trotz taktischer Limitation oftmals großartiges In-Game Coaching, verzockte sich diesmal mit seinen Wechseln völlig. Gehen wir diese doch der Reihe nach einmal durch. Der erste personelle Joker des 63-Jährigen war der Brasilianer Rodrygo, der für Nacho kam. Die Intention des Wechsels war samt personeller Umstellung klar: Rodrygo sollte wie gewohnt nach Einwechslung als offensiver Freigeist für Unruhe in der gegnerischen Hintermannschaft sorgen, Valverde dafür zurück ins Mittelfeld rücken und Camavinga als Antreiber als Linksverteidiger anschieben. Dass dieser Plan nicht aufging, lag vor allem an einem nach seiner Einwechslung überhaupt nicht fit wirkenden Brasilianer, der aufgrund seines körperlichen Zustands hätte erst deutlich später kommen müssen. Meine erste Wahl wären Marco Asensio oder Dani Ceballos gewesen, die stattdessen gar nicht ins Spiel kamen. Als zweites nahm der Trainer den ebenfalls nicht fit wirkenden Toni Kroos herunter und brachte mit Aurélien Tchouaméni einen weiteren Sechser, dessen Einwechselung sich mir bis zum jetzigen Augenblick nicht erschließt. Die bessere Wahl wäre spätestens hier Ceballos gewesen, der das Spiel mit seiner Dynamik und der Fähigkeit, scharfe Pässe in den Rücken der Abwehr zu spielen, zuzüglich seiner Mentalität deutlich eher hätte beeinflussen können. Die Auswechslung des deutschen Weltmeisters wäre bereits nach 55 Minuten längst überfällig gewesen. Wechsel Nummer drei und der damit trotz zwei weiteren Möglichkeiten gleichzeitig Letzte dieses Spiels war Castilla Youngstar Álvaro Rodríguez. Dessen Hereinnahme war absolut richtig, grande Carlo! Nur eben eindeutig zu spät… Schon nach 30 erfolglosen Halbfeldflanken von Carvajal und Viní Jr. in der ersten Halbzeit wurde offensichtlich, dass es neben dem wie so oft zurückgezogenen Benzema eine weitere wuchtige Option in der dicht besetzten Box der Katalanen braucht. Barca Trainer Xavi hingegen machte alles richtig, brachte unter anderem mit Rückkehrer Ansu Fati einen technisch versierten Konterspieler, der unglücklicherweise das 2:0 von Kessié verhinderte, allerdings mit seiner enormen Ballsicherheit einige Situationen technisch gekonnt aufzulösen wusste. Barça fährt durch diesen Achtungserfolg im Hinspiel vor allem auf psychologischer Ebene einen extrem wichtigen Sieg ein, der auch im Meisterschaftsrennen noch einmal komplett neuen Schwung verleihen könnte. Wir dürfen auf jeden Fall auch auf die kommenden Wochen in Spaniens Fußball definitiv gespannt sein!