Foto: Steffen Prößdorf
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Immer mehr Medien berichten übereinstimmend von einem bevorstehenden Engagement Ralf Rangnicks beim FC Bayern München. Eine auf den ersten Blick mutige Entscheidung, die auf den zweiten Blick eine Vielzahl von Fragen aufwirft. Die mögliche Zusammenarbeit zwischen dem 65-Jährigen und dem deutschen Rekordmeister birgt Chancen wie Risiken, die wir heute mithilfe eines möglichen Szenarios durchspielen wollen.
Tausche Weißbier gegen Brause
Bereits zu Beginn drängt sich eine ganz zentrale Frage auf: In wie weit passt diese Kombination zwischen einem Fußballlehrer, der für die Gegenpressingschule aus dem Hause Red Bull steht, mit dem Selbstverständnis eines deutschen Rekordmeisters zusammen, der seit geraumen Jahren in seiner Spielphilosophie in eine ganz andere Richtung geht? Die sportliche Identität eines FC Bayern, das sagenumwobene „Mia san Mia“, beinhaltet in der tiefsten Club DNA grundsätzlich den Anspruch, den Gegner zu dominieren und durch die eigenen Fähigkeiten zum Erfolg zu kommen. Spieler wie Manuel Neuer, Thomas Müller oder Joshua Kimmich erlebten einen Pep Guardiola, der als inflationärer Impulsgeber der weiterentwickelten Spielidee steht, die den Verein bis heute grundsätzlich auszeichnen soll. Wie also soll dieser Punkt mit den grundsätzlich konträr wirkenden spieltaktischen Ansätzen eines 65-Jährigen Rangnicks zusammenpassen, der seine komplette Karriere für eine ganz andere Art des Fußballs stand?
„Wie passt diese Kombination zwischen einem Fußballlehrer, der für die Gegenpressingschule aus dem Hause Red Bull steht, mit dem Selbstverständnis eines deutschen Rekordmeister zusammen, der seit geraumen Jahren in seiner Spielphilosophie in eine ganz andere Richtung geht?“
Kann Rangnick Bayern?
Zunächst einmal wäre hier genauer zu betrachten, wie anpassungsfähig Rangnick sich auf seinen beiden Stationen nach seiner Zeit im Red Bull Kosmos bei Manchester United sowie der Österreichischen Nationalmannschaft zeigte. Während der gebürtige Backnanger in seiner relativen kurzen Episode bei Manchester United (12/21-5/22) aufgrund klubinterner Widerstände nicht den Fußball implementieren konnte, für den er auf seinen früheren Stationen stand, impfte er den Österreichern deutlich erfolgreicher den hinlänglich bekannten Umschaltfußball ein, welchen er als Revolutionär vor über 20 Jahren selbst in der Fußballwelt etablierte. Die Nationalmannschaft boomt und ist mit ihrem Coach so erfolgreich wie seit Jahren nicht mehr. Dennoch, bei allem Respekt für Rangnicks Errungenschaften im Nachbarland, ist das Umfeld eines FC Bayern mit seinen unzähligen Alphatieren noch einmal ein deutlich anderes.
Vom freien Radikal zum Teamplayer?
Während seiner Tätigkeit in Hoffenheim sowie im Red Bull Kosmos wirkte Rangnick oft als Trainer und Sportdirektor in Personalunion, konnte sein Umfeld als freies Radikal komplett nach seinen eigenen Vorstellungen gestalten. Beim FC Bayern fände der 65-Jährige nun eine komplett andere Situation vor. Mit Sportvorstand Max Eberl sowie Sportdirektor Christoph Freund gibt es an der Säbener Straße bereits zwei Verantwortliche, die in die Planung ebenso involviert sein werden wie er selbst. Zudem schweben Clubpatron Uli Hoeneß sowie Karl-Heinz Rummenigge immer noch wie ein Damoklesschwert über den Entscheidungsträgern, die deshalb stets im Interesse des Vereins agieren müssen. Der potentielle Chefcoach hätte also weder die alleinige Entscheidungsgewalt, noch die nötige Zeit, in diesem so erfolgsverwöhnten Umfeld etwas aufzubauen, weshalb sich im Folgenden die vielleicht entscheidendste Frage aufdrängt: Zu welchen Zugeständnissen ist der Verein überhaupt bereit?
„Clubpatron Uli Hoeneß sowie Karl-Heinz Rummenigge schweben stets wie ein Damoklesschwert über den Entscheidungsträgern, die stets im Interesse des Vereins agieren müssen.“
Gegenseitige Zugeständnisse als Schlüssel
Fakt ist, dieser Trainer wird mit seinem hinlänglich bekannten Profil nicht nach München kommen, wenn er nicht das notwendige Arbeitsumfeld für die Verwirklichung seiner Ideen vorfindet. Also wird der FC Bayern Zugeständnisse machen müssen, die ihn in seiner Arbeit relativ frei wirken lassen. Auf den ersten Blick untypisch für einen Club, der in jüngeren Vergangenheit zu diesen Zugeständnissen bis dato nie bereit war. Die Lage wirkt im Jahr 2024 allerdings anders und scheint in diesem Stadium der Trainersuche eine derartige Abkehr von der eigenen Philosophie zu erfordern. Erklärt sich der ehemalige Coach der TSG Hoffenheim umgekehrt dann ebenfalls dazu bereit, auf Augenhöhe mit Freund, Eberl und Co. zu arbeiten, stellt sich die Frage, wie dieses Trio vorgehen wird, um das Gesicht des Vereins zu verändern und ihn zurück dahin zu führen, wo er dem eigenen Selbstverständnis nach auch hingehört: Nach ganz oben.
„Die Lage im Verein wirkt im Jahr 2024 allerdings anders und scheint in diesem Stadium der Trainersuche eine derartige Abkehr von der eigenen Philosophie zu erfordern.“
Projekt Umbruch
Fakt ist, der FC Bayern München wird sein Gesicht grundlegend verändern müssen, will er zukünftig wieder erfolgreich sein. Schauen wir aufs Team, lassen sich objektiv gesehen drei Spieler identifizieren, auf die Rangnick als Coach definitiv nicht setzen wird. Blicken die Verantwortlichen auf die Leistungen der letzten Monate und die Vorstellungen der Bayern-Bosse, werden sich Alphonso Davies, Leon Goretzka sowie Serge Gnabry nach einem neuen Club umsehen müssen. Der Kanadier würde zwar grundsätzlich auch unter Rangnick ins Teamgefüge passen, gilt aber aufgrund seiner schwankenden Leistungen und fehlendem Commitment zum Verein als nahezu sicherer Abgang. Goretzka weist schlichtweg nicht die Qualitäten auf, um zukünftig weiter als Leistungsträger voranzugehen, während Serge Gnabry einfach zu inkonstant und verletzungsanfällig agiert. Spieler wie Dayot Upamecano und Joshua Kimmich dürften aufgrund ihrer gemeinsamen Vergangenheit bei einer Inthronisierung Rangnicks wieder deutlich bessere Karten auf eine langfristige Zukunft im Verein haben.
„Blicken die Verantwortlichen auf die Leistungen der letzten Monate und die Vorstellungen der Bayern-Bosse, werden sich Alphonso Davies, Leon Goretzka sowie Serge Gnabry nach einem neuen Club umsehen müssen.“
Wer könnte kommen?
Schaut man im Gegenzug auf die Zugangsseite, wird der neue Chefcoach genauso wie Vorgänger Thomas Tuchel die Notwendigkeit eines neuen, spielstarken Sechser ganz oben auf der Liste haben. In Frage kommen dabei Martin Zubimendi (Real Sociedad), André Onana (FC Everton) als auch Pierre Emile Højbjerg (Tottenham Hotspurs), die entweder bereits Vergangenheit im Club haben, oder in ihren vorherigen Vereinen bereits ähnliche Anforderungen erfüllen mussten. Auch auf der Linksverteidigerposition wird man sicher handeln, hierbei liegen Namen wie die von Theo Hernández (AC Milan) oder auch Ferland Mendy (Real Madrid) nahe, der in ein mögliches Tauschgeschäft mit Davies verrechnet werden könnte. Bei einem unerwarteten Abgang in der Innenverteidigung wie de Ligt oder Minjae steht wohl der Leverkusener Jonathan Tah weit oben auf der Liste der Verantwortlichen. Für die Breite wurde der FC Bayern in den den vergangenen Monaten auch immer mal wieder mit Stuttgarts Chris Führich in Verbindung gebracht, der auch unter dem neuen Trainer im Halbraum agieren könnte.
„Schaut man im Gegenzug auf die Zugangsseite wird der neue Chefcoach genauso wie Vorgänger Thomas Tuchel die Notwendigkeit eines neuen, spielstarken Sechser ganz oben auf der Liste haben.“
Harmonische Konvergenz
Fakt ist, im Verein müssten viele Konjunktive erfüllt werden, um Rangnicks Wirken zu einem erfolgreichen werden zu lassen. Der FC Bayern müsste sich in seinen Strukturen öffnen, während der 65-Jährige zu Machteinbußen bereit sein müsste. Das Zusammentreffen der Alphatiere wirkt grundsätzlich wie ein Arrangement, das eine gewisse Explosivität mit sich bringt. Nicht zuletzt Uli Hoeneß geriet in der Vergangenheit bereits mit Rangnick aneinander, müsste sich ebenfalls in Zurückhaltung üben. Der Umbruch selbst wäre für den erfahrenen Trainer ein willkommenes Projekt, welches er von den reinen Fähigkeiten her ohne Zweifel zu stemmen bereit wäre. Das Gebilde FC Bayern München würde dann von Harmonie und Zielstrebigkeit abhängen, die ohne Zweifel von allen Seiten erst einmal erlernt werden müsste.