Lesezeit: 5 Minuten
Das Rückspiel im UEFA Champions League Halbfinale zwischen Manchester City und Real Madrid wirft bereits seine Schatten voraus und lässt ganz Europa am heutigen Mittwoch gespannt ins Etihad blicken, wenn sich der designierte englische Meister mit dem amtierenden Champions League Sieger duelliert. Schon im Hinspiel bekamen wir das erwartet hochklassige Duell auf Augenhöhe und passend dazu einige Erkenntnisse geliefert, die äußerst aufschlussreich für den alles entscheidenen Showdown im Rückspiel sein könnten. Heute wollen wir uns einem etwas anderen Vorbericht widmen, der die Perspektive auf dieses Duell noch einmal in ein neues Licht rückt und anhand von Schlüsselfaktoren prognostizieren, wer letztendlich ins Endspiel von Istanbul einziehen wird.
Lehrstuhl „Taktik“ gegen La Dolce Vita
Im Grundsatz des Ganzen begegnen sich mit Manchester City und Real Madrid bzw. ihren Trainern Pep Guardiola und Carlo Ancelotti zwei absolut gegensätzliche Fußballphilosophien. Während es der heißblütige City-Coach bereits seit über 10 Jahren erfolglos mit dem FC Bayern München und Manchester City versucht, triumphierte der stoische Trainerfuchs mit Real Madrid gleich im Jahr seiner Rückkehr zum 14. Mal im königlichen Lieblingswettbewerb. Doch nicht nur das verdeutlicht den enormen Unterschied zwischen dem katalanischen Mastermind und dem pragmatischen Italiener. Auch ihre Art, den Fußball zu interpretieren, unterscheidet sich wie Tag und Nacht. Guardiola gilt als Verfechter der perfekten Raumaufteilung, erfand in Lionel Messi die Falsche 9 und gilt als „der“ Taktikguru der Neuzeit, der am liebsten alle Spieler per Knopfdruck steuern würde. Ancelotti hingegen gibt seinen Akteuren Freiheiten auf dem Platz, zwängt sie trotz eigener Vorstellungen in kein taktisches Korsett und setzt auf eine freundschaftliche Bindung zu ihnen. Ein Sinnbild, das vielleicht genau in diesem Licht die Mechanismen des modernen Fußballs widerlegt, in dem stetig nach Innovationen gesucht und nach der nächsten Taktikrevolution gestrebt wird und definitiv ein Punkt, der sich auch in direkten Duellen, vor allem dem im Vorjahr, widerspiegelt. Die einzige und wohl auch offensichtlichste Verbindung der Mannschaften, ihrer Übungsleiter und den Spielern ist das Streben nach Erfolg. Die einen verstehen den Fußball als Kunst, während die anderen dem Sieg eben alles unterordnen.
Das Revival der Manndeckung
Die wichtigste Frage für Real Madrid im Vorfeld des Hinspiels vergangene Woche schien es dem medialen Tenor nach zu sein, wie man Rekordmann Erling Haaland ausschalten kann. Auch wenn Chefcoach Ancelotti auf der Spieltagspressekonferenz darum bemüht war, City (verständlicherweise) nicht nur auf den Norweger zu reduzieren, stellte sich dieser Sachverhalt dennoch als Schlüssel für ein erfolgreiches Spiel heraus und wird auch ohne Zweifel im Rückspiel so sein. Ersetzte Antonio Rüdiger, der diese Aufgabe im Bernabeú mit Bravour meisterte, im Hinspiel noch Éder Militão, wird im Rückspiel erneut vieles auf eine kompakte Kette ankommen. Die Rückkehr des jungen Brasilianers in die Startelf wird für das Team einige personelle Umstellungen zur Folge haben, deren Auswirkungen bis in die Offensive reichen. Zu erwarten ist ein Bollwerk mit drei nominellen Innenverteidigern (Alaba, Rüdiger, Militão), in dem der ehemalige Münchener auf die linke Abwehrseite rücken wird. Der angeschlagene, aber wohl rechtzeitig fitte, Camavinga wird dafür ins Mittelfeld rücken und Allrounder Valverde Rodrygos Platz auf der rechten Außenbahn einnehmen. Eine hohe Fluktuation also im königlichen Spiel, die es den Cityzens um Fußballprofessor Guardiola erneut schwer machen wird, die eigene Herangehensweise zu entschlüsseln. Beim Team aus der englischen Arbeiterstadt lief im Hinspiel vieles wie geplant und wird im Rückspiel personell, wenn überhaupt, nur minimale Anpassungen nach sich ziehen. Was die Taktik betrifft, gestalten sich die Vorzeichen allerdings in diesem Punkt genau umgekehrt: Während Madrid vieles richtig macht und bei seinem Matchplan bleiben wird, scheint City deutlich offensivfreudiger agieren zu wollen.
Taktikcheck Manchester City
Nebst dem eigenen Auftritt im heimischen Etihad, der für City ohnehin eine dominantere Herangehensweise zur Pflichtveranstaltung macht, wird das Team auch von sich aus wohl einen mutigeren, vor allem aber offensiveren Ansatz wählen. Agierte Manchester im Hinspiel bei eigenem Ballbesitz noch auffallend vorsichtig, wird es zu Hause gegen einen kompakten Madrider Defensivverbund vor allem auf rasche Balleroberungen und ein schnelles Spiel in die Spitze hinauslaufen. Verzichtete man im Hinspiel noch auf derart riskante Vertikalbälle, wird man nun vor allem die Räume zwischen Linksverteidiger David Alaba, der längst nicht mehr das Tempo vergangener Tage hat, und Antonio Rüdiger suchen, die es im Laufduell mit Haaland in keinem Fall aufnehmen können. Ein Ansatz, Éder Militão zu binden, könnte sein, einen weiteren Angreifer ins eigene Spiel zu integrieren oder beispielsweise den ballsicheren Grealish situativ als wuchtiges Element in die Zentrale zu beordern. Auch Weltmeister Julián Álvarez wäre eine Option, wenn auch eine extrem unwahrscheinliche. Ansonsten wird in Guardiolas Team viel auf Abläufe vertraut werden, die auch im bisherigen Saisonverlauf so unfassbar gut funktionierten. Der nominelle Innenverteidiger Stones rückt als Sechser im Spielaufbau neben Rodri, Gündoğan und de Bruyne positionieren sich dafür höher, um besser das Offensivspiel lenken zu können und Zielspieler Haaland einzusetzen. Bernardo Silva und Jack Grealish werden darauf bedacht sein, erfolgreicher als im Hinspiel eine nominelle Überzahl im Zentrum herzustellen oder eben oft selbst das Eins-gegen-Eins zu suchen.
Taktikcheck Real Madrid
Schon im Hinspiel gab Trainerfuchs Ancelotti Peps Manchester City durch seine besondere Zuteilung einige Rätsel auf. So liefen vergangene Woche die zentralen Mittelfeldspieler Madrids, Modrić und Valverde, die Halbräume an und attackierten Citys Kreativzentrum um Gündoğan und Rodri unkonventionell, aber effektiv, während 6er Kroos sich situativ immer wieder an de Bruyne orientierte. Normalerweise kommt die Aufgabe des Anlaufens in diesem Bereich des Spielfeldes den Innenverteidigern zu, diese blieben als Manndecker allerdings stets bei Gefahrenherd Haaland. Eine äußerst überraschende Maßnahme der Hausherren, die die Gäste kalt erwischte und auch Guardiola ein Kompliment abrang. Real erzwang somit den für City untypischen Ball auf die Außenbahnen, die als sofortige Pressingauslöser für Vinícius Júnior und Rodrygo galten. Überspielten die Skyblues diese Linie oder versuchten in Form der einrückenden offensiven Flügel Grealish und Bernardo Silva im Zentrum Überzahl zu generieren, standen ihnen meist schon die „weißen Giftzwerge“ Carvajal und Camavinga auf den Füßen. Auch Benzema, in diesem Spiel von weiten Teile der Öffentlichkeit für schwach befunden, unterband durch sein frühes Zustellen die starke Spieleröffnung Rúben Dias´ und band damit indirekt auch immer wieder John Stones, der so in die „unerwünschte“ Rolle neben seinem Innenverteidigerkollegen schlüpfen musste, um diesen zu unterstützen. Die Schlüssel für Madrid sind analog zum Hinspiel, diesmal aber in veränderter Rolle, der heimliche MVP Camavinga und Allrounder Valverde. Während Alaba morgen die Aufgabe zukommt, Bernardo Silvas Stärken zu neutralisieren, wird Reals Nummer 12, nun im zentralen Mittelfeld, für das schnelle Kombinationsspiel und eine gewisse Tempodynamik im Zentrum verantwortlich sein. Camavinga bringt durch seine Dynamik ein Element ins Spiel ein, das seine Nebenmänner Kroos und Modric so nicht besitzen und spielt damit gleichzeitig den offensiven Flügeln Vinícius Júnior und Fede Valverde in die Karten, die durch ihre irre Geschwindigkeit in den Rücken der Abwehr vorstoßen können.
Egal ob Manchester oder Madrid, Hauptsache Istanbul!
Berücksichtigt man diese Gegebenheiten im Spiel dieser zwei Mannschaften auf absolutem Topniveau, lässt sich ein Sieger, erst recht mit den Erfahrungen des Hinspiels, nur extrem schwer prognostizieren. Peps City wird im heimischen Etihad wie eingangs erwähnt ohne Zweifel extrem entschlossen auftreten und Madrid so früh in die Defensive zwingen und eine Dynamik des Dauerdrucks entfachen wollen. Übersteht Real dieses Phase mit defensiver Geschlossenheit und der nötigen Ruhe, ist alles offen. Generell ist dem amtierenden Titelträger ohnehin ein Einzug ins Finale zuzutrauen, der vor allem von seinen Veteranen und deren Thronfolgern abhängen wird. Anders als ManCity, die auf ihre festgefahrenen Abläufe vertrauen, liegt die Stärke der Königlichen in ihrer Variabilität, was am Ende den Ausschlag zugunsten der Blancos geben wird. Obwohl City früh in Führung geht, gleichen die Gäste durch Benzema aus und erzwingen so die Verlängerung. Vieles ähnelt also dem Rückspiel vor ca. 12 Monaten und auch diesmal wird Real durch ein Tor von Joker Rodrygo ins Finale einziehen, in dem es dann gegen Inter Mailand gehen wird. Ein waschechtes Déjà-vu also für Manchester City und der galaktische Traum vom 15. Henkelpott der Geschichte lebt weiter!