Flicks Kadernominierung zwischen Licht und Schatten – Ein Kommentar

Am vergangenen Donnerstag war es endlich soweit, Bundestrainer Hansi Flick gab seinen endgültigen Kader für die WM Endrunde in Katar bekannt. 26 Mann reisen also zum Turnier in den Wüstenstaat und dabei finden sich neben gestandenen Profis durchaus auch einige Überraschungen wieder. Warum die Mannschaft in der Spitze definitiv konkurrenzfähig ist, an vielen Stellen dennoch unübersehbare Mängel aufweist und weshalb der Bundestrainer eine ganz bestimmte Chance vertan hat, darauf möchte ich im folgenden Kommentar eingehen.

Routiniers führen den Kader an

Die Mannschaft wird angeführt von den erwarteten Führungskräften um Manuel Neuer, Joshua Kimmich, Thomas Müller (alle FC Bayern) und Co. Das ist keine Überraschung, denn diese Spieler sind bereits seit einigen Jahren absolute Leader im Nationalteam und werden auch bei der WM in Katar vorangehen. Sei es im sportlichen Sinne oder auch dann, wenn es darauf ankommt, bezüglich diverser Thematiken neben dem Platz meinungsstark aufzutreten. Ihr wisst alle was gemeint ist. Auf dem Platz sind die genannten Namen ohne Zweifel gesetzt und für diese Mannschaft ein fester Anker, vor allem um während des Turniers Verlässlichkeiten und eine gewisse Hierarchie zu schaffen. Junge Spieler wie Yousouffa Moukoko (Borussia Dortmund), Armel Bella-Kotchap (FC Southampton) oder Jamal Musiala (FC Bayern), zu denen wir gleich noch kommen, können sich definitiv an diesen Vorbildern orientieren und auf deren Erfahrungsschatz zurückgreifen. Das wird bei anvisiertem erfolgreichen Turnierverlauf in meinen Augen definitiv ein notwendiges Mittel sein, das von jungen X-Faktoren wie Musiala oder Moukoko permanent in Anspruch genommen werden muss. Auch Spieler wie Leon Goretzka (FC Bayern), Antonio Rüdiger (Real Madrid) oder İlkay Gündoğan sind in den letzten Jahren sukzessiv in diese Rolle hineingewachsen und werden bei der WM ebenfalls verlässliche Eckpunkte des Teams darstellen müssen. Das diese Aufgabe ihnen ohnehin zugedacht ist, bekräftigte nicht zuletzt Hansi Flick, der im Gespräch mit dem Stern forderte, dass vor allem Gündoğan, analog zu seinem Amt als Kapitän bei Manchester City, im Nationalteam eine noch stärkere Rolle einnimmt.

Nicht alle jungen Spieler ergänzen den Kader optimal

Blickt man dagegen auf den restlichen Kader, fällt vor allem die Nominierung von den bereits angesprochenen Youssoufa Moukoko und Armel Bella-Kotchap ins Auge. Ersterer steht definitiv zurecht und auch verständlicherweise im Kader von Hansi Flick für die WM Endrunde, so bringt er der Mannschaft ein Element, das es so im Angriff des DFB Teams nicht gibt. Im Gegensatz zu Kai Havertz (FC Chelsea), der vermutlich als alleinige Spitze fungieren wird und Brecher Niclas Füllkrug (SV Werder Bremen), vereint der junge Borusse wichtige Attribute wie Explosivität, Torinstinkt und Agilität. Im Gegensatz dazu wirkt die Nominierung von Bella-Kotchap in meinen Augen mehr als unnötig. Der Bundestrainer begründete dessen Berufung damit, den jungen Spielern der nächsten Generation eine Chance geben zu wollen. Schön und gut, aber ich sage nicht bei dieser WM. Auch wenn mir klar ist, dass Flick explizit dieses Turnier bzw. eine WM Endrunde meint, wenn er von Erfahrungen sammeln spricht. Wenn man allerdings auf die Qualität im Kader und die Dichte auf dieser Position blickt, steht einem das blanke Unverständnis ins Gesicht geschrieben. Deutschland fährt mit sechs Spielern nach Katar, die allesamt in der Innenverteidigung spielen können. Wenn man schon bewusst darauf verzichtet, einen Weltmeister wie Mats Hummels (Borussia Dortmund) zu nominieren, wieso beruft man dann Youngstar aus Southampton? Einen einzelnen jungen Spieler dazuzunehmen, um ihm Erfahrungen zu verschaffen, darauf kann bei einer derart wichtigen Veranstaltung wie einer Fußball WM beim besten Willen keine Rücksicht genommen werden. Seine Nominierung ist überflüssig, aber dennoch nicht mal die schlechteste Wahl im ganzen Kader.

Einige Nominierungen sind absolut unverständlich

Während Bella-Kotchap eine Wahl ist, die schon mehr als fragwürdig daherkommt, sind die Nominierungen von Spielern Karim Adeyemi (Borussia Dortmund) oder Lukas Klostermann (RB Leipzig) für mich komplett unverständlich. Während ersterer in dieser Saison mehr nicht gepfiffene Fouls begangen, als Scorer erzielt hat (0 Tore/ 0 Vorlagen), fiel letztgenannter in dieser Spielzeit eher durch verletzungsbedingte Abwesenheit denn durch Leistung auf. Klostermann, der wohl für die rechte Seite eingeplant ist, konkurriert zusammen mit Jonas Hofmann (Borussia Mönchengladbach) und Thilo Kehrer (West Ham United) als dritter Spieler um einen Platz in der Viererkette. Auch hier hätte man sich die Nominierung sparen können und den bereits angesprochenen, dringend benötigten defensiv denkenden Mittelfeldspieler berufen können, der im Kader absolut fehlt. Beispielsweise einen Sebastian Rode, der in dieser Saison in nahezu jedem Spiel von Europa League Sieger Eintracht Frankfurt durch hervorragende Leistungen bestach. Hierbei handelt es sich um eine Chance, die vom Trainerteam definitiv verpasst wurde, um eine gewisse Balance innerhalb des Kaders zu herzustellen. Auch ein Rani Khedira (Union Berlin) oder Julian Weigl (Borussia Mönchengladbach) wären sinnvolle Alternativen gewesen, um dem Team ein defensives Element zu verleihen, das Stabilität gibt und der Mannschaft auch defensiv eine gewisse Tiefe verleiht.

Es fehlt die Balance im Kader

Im Mittelfeld mangelt es also in der breite ganz klar an Qualität und hochwertigen Alternativen. Blickt man beispielsweise auf andere Nationen wie Brasilien, Frankreich oder Portugal, sind deren Mittelfeldreihen üppig besetzt und auch in der zweiten Reihe stark aufgestellt. Während der DFB Kader auf den ersten Blick in puncto Qualität definitiv mithalten kann, fehlt es bei genauerem Hinsehen an der Variabilität. Mit der Nominierung von Mario Götze verfügt die deutsche Mannschaft zusammen mit Jamal Musiala und Thomas Müller nun über drei nominelle Zehner, die mehr oder weniger den gleichen Typus verkörpern. Es herrscht eine unübersehbare Dysbalance, die der Mannschaft bei Verletzungen oder physisch starken Gegnern noch auf die Füße fallen könnte. Das Trainerteam muss sich vorwerfen lassen, den Kader nicht gut genug ausbalanciert zu haben, was aus einem auf den ersten Blick guten Kader schnell einen verbesserungswürdigen bzw. unausgeglichenen macht.

Die Offensive ist stark aufgestellt

Zur Wahrheit gehört allerdings auch, dass nicht alles kritisiert werden muss. Im Gegensatz zu den anderen Mannschaftsteilen hat der Bundestrainer im Angriff eine äußerst homogene Mischung gefunden und die Ausfälle von Timo Werner (RB Leipzig) und Marco Reus (Borussia Dortmund) hervorragend aufgefangen. Neben arrivierten Kräften wie Serge Gnabry, Leroy Sané oder Kai Havertz ergänzen Neulinge wie Moukoko oder Niclas Füllkrug die Offensive des viermaligen Weltmeisters in meinen Augen optimal. Letzterer kann in engen Schlussphasen gegen tiefstehende Gegner als kopfballstarker Stürmer reingeworfen werden, während Moukoko auch über das Kombinationsspiel mit eingebunden werden kann. Wahlweise als Ersatz für Havertz oder als zweite Spitze, um Gegenspieler zu binden und Räume aufzubrechen. Hier ist man gut aufgestellt, sodass es an diesem Mannschaftsteil wohl nicht scheitern wird.

Ausgang ungewiss

Alles in allem lässt sich feststellen, dass der Kader rein auf die Qualität bezogen zu den besseren des Turniers zählt und doch ist nicht alles Gold, was glänzt. In Bezug auf die WM ist vieles ungewiss, denn oftmals entstehen gewisse Dynamiken erst in einem Turnier und fördern Sachverhalte zu Tage, die im Vorhinein niemand für möglich gehalten hätte. Klar ist eins: Flick und seine Mannschaft werden vor allem direkt in der Gruppenphase gegen Spanien oder unangenehme Gegner wie Japan die richtigen Lösungen finden müssen, um das Momentum an sich zu reißen. Bei aller Ungewissheit und der offensichtlichen Unausgeglichenheit des Teams ist klar, dass Deutschland auch dieses Mal wieder seinem Ruf als Turniermannschaft wird gerecht werden müssen, um letztendlich erfolgreich sein zu können. Inwieweit der Kader das hergibt und ob mich die Mannschaft eines besseren belehrt, wird man in ein paar Wochen sehen. Ich bleibe allerdings skeptisch.

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